Donnerstag, 29. August 2013

Horizonte






Die Begegnung von Meer und Land ist nicht sanft. Ein wütender Gewaltakt, reißend und ohne Sieger. Wehe dem, der dazwischen gerät. Die aufgerissene Stelle an meinem Fuß blutet nicht lang, das Salzwasser brennt und heilt. Heilt es, wenn es brennt? Über die Jahre hinweg habe ich Psychosen und Neurosen gesammelt, wie andere Tätowierungen. Heute kontrolliere ich all die Ungeheuer und trotzdem nagen sie an unserer Substanz. Ich bin die Brandung.
Vor mir breitet sich das Land aus, keine Erhebung bietet den Gedanken Halt. Der Alltag bleibt gern auf der Strecke an Orten wie diesem. Besoffen von Nonchalance und Glück, taumeln wir umeinander. Unbemerkt nimmt das Leben Fahrt auf, überholt rechts und bremst uns gnadenlos aus.
Was wie im Winterschlaf ruhte, nur ab und an seine hässliche Schnauze ins Licht streckte, erwacht ausgerechnet hier und in dir statt mir. Morgens legt es sich schwer auf deine Brust, nachts wühlt es in deinen Gedanken, beansprucht Raum und Zeit. Ein paar Tage lang geben wir uns noch der Illusion hin, es kontrollieren zu können, indem wir ihm Namen geben, aber das Scheitern ist nur eine Frage der Zeit. Statt ineinander verlieren wir uns in Alltäglichem. Wir frühstücken Träume und verdauen Bedürfnisse. Die Hoffnung fällt der Inflation zum Opfer. So bleibt das Starren, enttäuschend wie die zweite Zigarette. In die Weite starren, weil wir so nackt nebeneinander stehen wie Adam und Lilith und gekreuzte Blicke irreparable Schäden verursachen würden. Nicht allein der Wind schmeckt salzig.
Versteh mich richtig, ich würde für dich durch die Hölle gehen und gleich noch die Abyss mitnehmen. Aufrecht, lächelnd und mit ausgestreckten Mittelfingern. Aber dich dabei zu beobachten, bringt mich um.

Der Sommer ändert sein Gesicht, schickt Blitze über schwefelgelbe Himmel und zwingt uns nachts unter Decken. Es ist keine Entscheidung, die fällt, vielmehr kriecht sie. Dein flüchtiges Lächeln gewinnt in der Waagschale an Gewicht. Unsere Blicke begegnen sich ehrfürchtig und vertraut. Die Verwundbarkeit verliert ihre Schrecken, offenbart Chancen und erstmals spürt auch dein Ungeheuer den festen Griff meiner Hand an der Kehle.
Langsam, fast zärtlich streicht das Meer über den Strand. Die Narbe an meinem Fuß verblasst. Es brennt, wenn es heilt. Über die Jahre hinweg habe ich Erfahrungen gesammelt und doch erbärmlich wenig gelernt. Es gibt Ungeheuer, die den Lack von einer Beziehung kratzen, aber die Substanz stärken. Manchmal bin ich der Fels.




Dienstag, 27. August 2013

Ode an die Ode







Poesie, sitz einmal still 
 Weil ich dir etwas sagen will
Erweisen eine simple Gunst
Dir, der einen, bösen Kunst

Ich schreibe es dir als Gedicht:
Poesie ich mag dich nicht
Gern knie ich vor Prosa nieder
Doch du, du bist mir sehr zuwider

Als Kind fand ich dich noch grandios
Liebte Josef Guggenmos
Und “Oh Minnie, Minnie, Mai”
Diese Handklatschspielerei

Unsre ersten Schwierigkeiten
Dann zu Mittelstufenzeiten
Bot dir mutig noch die Stirn
Schlug “die Bürgschaft” in mein Hirn

Doch dann war er aus der Traum
“Da kommt unser Johnny und will seinen Baum”
War mir einfach viel zu blöde
Drum verließ ich dich ganz schnöde

When shall we two meet again?
Never Baby, it’s in vain
Change the language for today
I still hate you, anyway

Und es wurde nicht mehr besser
Im Grundkurs wetzte ich mein Messer
Tot des Dichters Intention
Durch Fehlinterpretation

Viribus infirmior
Nur deshalb dringst du in mein Ohr
Miststück, hör' mein Manifest
Odio inflammatum est

Metapher, Alliteration
Meine Hände zittern schon
Pars pro Toto, Euphemismus
Poesie gleicht Terrorismus

Jambus, Distichon Zäsur
Blutig rot ist meine Spur
Dichterischer Urinstinkt
Kotzen, weil das Versmaß hinkt

Ecoute bien, poésie bohème
Il y a un petit problème
Moi le citron et toi le ceste?
Poésie, je te déteste

Doch halt, ist da nicht dieser Herr
Mit dem Namen Baudelaire?
Dessen trübe, dunkelschwere
Zeilen ich so sehr verehre?
Hilft aus Depressionsgefahr
Nicht Jandlstottern, wunderbar?
Versteht, wenn ich aus Liebe leide
Nicht Walther von der Vogelweide?
Wie konnte ich mich so belügen?
Dir grausam diesen Schmerz zufügen?
Verzeihst du, wenn nach alter Sitte
Ich winselnd um Vergebung bitte?
Dichtkunst, Liebste, hörst du mich?
Oh, wie schrecklich blind war ich
Trotz all der Jahre, immer noch
Poesie, ich lieb’ dich doch.

Dienstag, 20. August 2013

Generation 3 (II)

 Geschätzter Leser,
 Hier folgt die Fortsetzung eines anderen Textes, der unter meinem gestrengen Blick mehrmals den Titel ändern musste. Ich tue mir mit der Titelfindung schwer, manchmal dauert selbige länger, als das eigentliche Schreiben. Ganz zufrieden bin ich mit dem Titel noch immer nicht und da der Geschichte eine weitere Fortsetzung folgen wird, freue ich mich über Vorschläge. Falls also Du, liebster Leser, eine Idee hast, scheue Dich nicht, sie mir mitzuteilen, sei es per Mail oder Kommentar.  







Die Nonnen beäugten Gabriel und mich amüsiert, verwundert ob der Tatsache, dass ein so niedliches Kind ausgerechnet meine Nähe suchte. Sie schoben es darauf, dass wir am selben Tag im Heim eintrafen und uns lieber aneinander hielten, als zu versuchen, einen Platz in einer der Gruppen zu finden. Bis heute lässt es mich nicht los, dass diese Frauen, die sich bis zur Selbstaufgabe der Spiritualität verschrieben hatten, so blind sein konnten, wenn sie ihnen begegnete. Gabriels Seele wanderte neben meiner durch die Finsternis und wir hatten einander gekannt, noch bevor ich ihm begegnete.

Sie lacht, als wäre ihr das eben gezeigte Pathos unangenehm, aber ihre Augen bleiben ernst. Er hat aufgehört, sich Notizen zu machen. Zuviel entgeht ihm, wenn er den Blick von ihrem Gesicht nimmt. Man hat ihn davor gewarnt, sich von ihrem träumerischen Tonfall und dem unscheinbaren Äußeren täuschen zu lassen.

Geheimnisse waren von Anfang an wichtig. In einer Umgebung, die kaum Privatsphäre ließ und das Alleinsein zu einem Luxusgut erhob, waren es zuerst Orte. Die Abstellkammer. Ein Loch in der Hecke oder der Platz hinter der Spülküche, wo die Mülltonnen standen. Martha fand sie schnell, denn obgleich die Nonnen überall zu sein schienen, war selten jemand zur Stelle, wenn die anderen Kinder ihre Lust an der Grausamkeit auslebten. Gabriel hingegen war nicht auf der Suche nach einer Zuflucht. In der Nacht der Glühwürmchen hatte er gelernt, seinen Geist auf Wanderschaft zu schicken, wenn ihm danach war, aber ihn trieben andere Geheimnisse. Ein Messer, das – während des Spüldienstes gestohlen und mit einem Stein geschärft – ausprobiert sein wollte. Er hatte es bereits einige Male in die Rinde eines Baums getrieben, als er bemerkte, dass er nicht allein war.

Jenen ersten Nachmittag verbrachten wir schweigend. Es dauerte, bis wir Worte fanden und in der Lage waren, sie aneinander zu richten.

Er steht auf, murmelt eine Entschuldigung und verschwindet in der Toilette. Es braucht mehrere Ladungen kaltes Wasser, bis die Erschöpfung schwindet. Als er zurückkommt, hält sie wieder die Bilder in den Händen, aber ihr Blick ist auf ihn gerichtet. Sie macht ein Kompliment über seine Augen, aber wenngleich er zu Beginn des Gesprächs gehofft hat, dass sie ihr auffallen würden, spürt er nun Beklemmung.

Als sie einmal zu reden begonnen hatten, hörten sie nicht mehr auf. Ihre Stimmen, ruhig und betont, glichen denen der Nonnen, wenn sie den Kindern im Gemeinschaftssaal Märchen vorlasen. Auch die Gestalten besaßen grimmsche Züge, aber ihre Gemüter waren dunkler und ihre Taten grausamer. Die Hexe mästete mit Hass, der Spiegel verspottete Schneewittchen und die Prinzen trugen blutbeschmierte Messer. Martha und Gabriel teilten Entsetzen, sie wuchsen dort zusammen, wo ihre Seelen gerissen waren, zarte Triebe, die in der Finsternis keimten.

Man kann den Nonnen Vieles vorwerfen. Schläge, die Beschimpfungen oder die über allem wabernde, alles entschuldigende Ergebenheit. Vermutlich waren auch sie verängstigte Geschöpfe,die hinter der geschlechtslosen Würde ihrer Tracht und den Mauern der Gottesfürchtigkeit Schutz vor der Welt suchten. Aber, verdammt, sie hätten uns vorbereiten müssen. .

Er kennt die Akten, weiß um ihre weitere Geschichte und dennoch fürchtet er sich davor, sie aus ihrem Mund zu hören. Ihre Augen wandern über sein Gesicht und er weiß, wonach sie sucht und fürchtet, dass sie es finden könnte.

Die Zeit floh und mit ihr der mickrige Rest einer Kindheit. Das neue Heim war größer und moderner. Die Flure rochen nach frischer Farbe, reformierten Konzepten und uralten Abgründen. Gabriel war allein. Seine Angst und Unsicherheit verbarg er hinter offensiven Blicken und derber Sprache. Sie waren zu sechst auf dem Zimmer, aber bereits die zweite Nacht verbrachte Gabriel in der stillen Einsamkeit der Krankenstation. Schmerzmittel betäubten seinen Körper, aber in seinem Kopf loderte blankes Entsetzen. Er konnte keine Hilfe erwarten. Nicht vom Etagenaufseher, der gehört haben musste, was in Raum 217 geschah, der aber erst eingriff, als Gabriel blutüberströmt den Flur entlang kroch.Nicht von der Krankenschwester, die ihn, kalte Routine im Blick, versorgt hatte. Nicht vom Direktor, der ankündigte, Gabriels Zimmergenossen mit Putzdienst zu bestrafen und zwinkernd hinzufügte, dass sie so den ordnungsgemäßen Umgang mit Besen lernen würden. Es gab keinen Halt und Gabriel ließ sich fallen, tiefer und dunkler, bis er blind und beinahe willenlos war und es war Zufall, dass sein Geist den kühlen Griff des Messers streifte und an der glatten Oberfläche Halt fand.

Martha zählte die Tage bis zu ihrem vierzehnten Geburtstag. Ohne Gabriel wuchs sich das Alleinsein zur Einsamkeit aus. Ihr Geist benötigte keinen Rückzugsort, vielmehr drängte er nach vorne, reckte sich jeder Hand entgegen, die ein Streicheln verhieß. Als Gabriels erster Brief sie erreichte, trug sie ihn einige Stunden lang in der Hosentasche, um die Vorfreude auszudehnen. Aber Martha züchtete Enttäuschung. Fetzen von Gabriels Handschrift, unzusammenhängend und fremd, zusammengekauert zwischen schwarzen Balken, die nicht mit Spucke oder Seife, nicht einmal mit der Nagelbürste zu entfernen waren. Das Schwarz machte ihr Angst, ein Blick in den Abgrund, bodenlos. Am Ende ein unpersönlicher Gruß und das Post Scriptum, scharf und unerbittlich wie eine Klinge. „Hier sind alle Prinzen.“