Montag, 7. Januar 2013

Nachspiel



Mir gegenüber sitzt er, das Gesicht in die Hände gestützt. „Wie traurig er aussieht.“ Die Sehnsucht, Schutzheilige der Träumer und Wichser. Sie hat sich schlafend gestellt und greift jetzt aus dem Hinterhalt an. Ihr erster Schlag trifft sofort und automatisch zuckt meine Hand in seine Richtung. „Verpiss' dich, Fotze.“ Aber sie lächelt nur und holt den Sommer zurück.
Wie schön er ist“, flüsterte sie und deutete in seine Richtung. Schönheit ist Hingabe und er gab sich hin. Nacht, Melodie und Bier. Asketen sind mir suspekt, Verzicht bedeutet Stagnation und kann niemals zur Läuterung führen. Es sind die gelebten Leidenschaften, die uns voran treiben. Und natürlich sie, die mich mit einem heiseren Lachen zu ihm hin zog.
Die Hand ist wieder unter meiner Kontrolle und dreht ihm eine Zigarette. Bleiern liegt das Schweigen zwischen uns. Auf meiner Schulter beschwert sich die Sehnsucht über die Langeweile der letzten zwei Wochen, aber das beeindruckt mich wenig. Fast gar nicht.
Wie der Hirsebrei aus dem Märchen quoll die Lust über die Ränder unserer Nächte und zwängte sich in die Zeitritzen. Er hinterließ Lücken, die ich schnell und fast schmerzlos wieder füllen konnte.
Lüg' nicht. Denk' doch mal an die Wochenenden.“ Die Sehnsucht gibt mir eine Kopfnuss und ich muss mich konzentrieren, weil er sich gefasst hat und nun beide gleichzeitig auf mich einreden.
Die Samstage waren Energie. Wie Absinth fluteten wir die Nächte. Jeder Song ein neuer Rhythmus, zu dem sich unsere Körper ebenso vertraut bewegten, wie zu dem anderen, der uns oft so heftig überfiel, dass wir es nicht nach Hause schafften. In dunklen Ecken ging ich vor ihm auf die Knie, schürfte ich meinen Rücken an rauen Hauswänden auf, grub meine Zähne, halb wahnsinnig vor Begierde, in seine Schulter.
Die Sonntage waren ruhiger. Irgendwo zwischen Lesen, Essen und Spaziergängen schlich sich eine bezaubernde Routine ein. Die Lust war nicht mehr eruptionsartig, waberte vielmehr wie warmer Bodennebel durch den Raum und verleitete uns zu sanften Midtempo-Nummern.
Schnauze!“ Beide verstummen irritiert und starren mich an. Sie haben mich in die Enge getrieben und ich fahre die Krallen aus. Ich bin gut ausgerüstet. Vertrauensmissbrauch, sein Spionieren, die erbärmliche Eifersucht und das Besitzdenken sind Argumente, die mir wieder Auftrieb geben. Aber nicht zu lange. „Was ist mit den Nächten?“, haucht die Sehnsucht, während sein trauriger Blick mich ins Herz trifft. „Wer beschützt dich vor der Dunkelheit?“
Weichheit ist ein Gefühl, an das man sich gewöhnen muss. Und doch war es schön, wenn er am Ende der Albträume auf mich wartete.
Die Stille ist gefährlich. Ich tausche einen Blick mit der Sehnsucht und sie senkt ihren zuerst.
Die Momente, in denen der Beschützer zum Jäger wurde, getrieben vom Wunsch nach Sicherheit, der Gier zu wissen und damit zu besitzen. Die gezogenen Grenzen ignorierte er, zwang mich in die Knie und pflügte rücksichtslos durch meine Seele, während Hobbes Geist kichernd durch den Raum schwirrte.
Um der Zukunft willen jagst du die Vergangenheit und vergisst mich im Jetzt.“ Ich schleudere es ihm heftiger als gewollt entgegen. Er zuckt zusammen, aber er muss es gewusst haben. Resignation. Langes Schweigen.
Lass uns das sauber zu Ende bringen.“ Unsere Umarmung fällt länger aus, als erwartet. Die Sehnsucht umklammert mein Bein so fest, dass ich sie gewaltsam abschütteln muss und sie fällt in die Ecke, wo sie reglos liegen bleibt.
Später ignoriert sie mich und ärgert die Katze mit Mäuseträumen. „Zu zweit ist es doch auch schön. Wenn du unbedingt willst, besorge ich uns sogar einen Fernsehanschluß.“ Wütend schüttelt sie meine streichelnde Hand von ihrer Schulter. Nichts.
Es klappt nicht. Haut und Haut finden nicht zueinander, halbherzige Fluchtversuche, die scheitern. Die Sehnsucht sitzt auf der Fensterbank und starrt in die Nacht. „Bist du immer noch wütend?“ Es dauert eine Zeit lang, bis sie sich zu mir umdreht und den Kopf schüttelt. Nachlässig wischt sie sich die Tränen von den Wangen. „Dann komm.“ Ich hebe die Bettdecke an. „Ohne dich macht es keinen Spaß. Mal mir ein paar Bilder.“ Die Sehnsucht springt von der Fensterbank und heiser kichernd schlüpft sie, die Schutzheilige der Träumer und Wichser, zu mir unter die Decke. Doch. Wir können auch allein ganz gut leben.