Ihr besten aller Leser,
entgegen meiner Gewohnheit, will ich ein kurzes Vorwort einfügen. Die folgende Geschichte entspringt meiner *auf Wunsch beliebiges Adjektiv einfügen* Phantasie, die Idee dazu stammt aber nicht von mir. Tatsächlich habe ich mich nach langem Zögern überzeugen lassen, mich als Mottoschreiberin zu versuchen und den folgenden Text zum Thema "seltsame Beziehungen" produziert. Und das schon letzte Woche, allerdings wollte ich mit der Veröffentlichung hier warten, bis er auf der anderen Seite präsent war. Nun habe ich nicht nur die Freude, einen neuen Text zu präsentieren, nein, ich kann auch noch auf die schönste Seite der Welt verlinken, wo Euch allerhand Lesenswertes erwartet. Viel Spaß!
Das schlechte Gewissen ist
verschwunden. Irgendwo zwischen der ersten zufälligen Berührung und
dem letzten heimlichen Fick in den Dünen auf der Strecke geblieben.
Wieder trägt Flo eines dieser
unsäglichen Bandshirts. Eine seiner kleinen Alltagsracheaktionen und
als Ellen ihn darauf anspricht, folgt wie selbstverständlich ein
Achselzucken. Normalerweise bringt die Geste sie zur Weißglut, aber
ihre Gedanken sind flatterhaft und leicht wie die aller Verliebter.
Sehnsucht ist das Gefühl, dass es
niemals genug sein kann. Das Fehlen des Anderen. Manchmal auch schon
der Moment der Trennung. Die Wehmut über den Zwang, schnell und
unauffällig zu sein, mit noch keuchendem Atem und glühender Haut
aufzubrechen. Sehnsucht ist die Reibung der Sandkörner.
Ellen spürt das Ende. Dieser Urlaub
ist nicht der letzte Versuch, sondern der endgültige Beweis, dass
sie gescheitert sind. Sie wollte in eine Großstadt, Flo ans Meer.
Der Cluburlaub war ein Kompromiss, der sie nun beide nicht zufrieden
stellt. Diese Erkenntnis gilt für jede Ebene, auf der sie einander
begegnen und sie hat ihren Schrecken verloren.
Hinter der Begierde
verbirgt sich etwas Tiefes, ebenso beängstigend wie verheißungsvoll.
Nach dem letzten Mal drehte er sich noch einmal um, ein weißes
Lächeln in seinem braungebrannten Gesicht und darüber ein seltsamer
Blick, halb Flehen, halb Versprechen. Zungen, schwer von
Unausgesprochenem, Gedanken wie Blei, aber in ihren Augen eine
Gewissheit, die keine Stimme brauchte. Sehnsucht ist der Schweißfilm,
der bleibt, wenn die Berührung bereits Vergangenheit ist.
Flo ist bei einer Gruppe
Surfer stehen geblieben und unterhält sich. Alle Lethargie ist von
ihm gewichen, seine Hände umkreisen einander gestikulierend und
seine blauen Augen strahlen in dem zart gebräunten Gesicht. Der
Anblick macht Ellen kurz wehmütig, schleudert sie zurück in die
Zeit, in der alles neu war, in der Flos nachlässige Unbekümmertheit
sie verzauberte. Der Moment geht schnell vorbei, als sich eine kalte
Flüssigkeit über ihr weißes Kleid ergießt. Ein Lachen geht durch
die Menge und schuldbewusst presst Flo seinen Daumen in die Öffnung
der Bierflasche. Er murmelt eine Entschuldigung, aber seine Augen
lächeln und Ellen spürt, wie Wut in ihr aufsteigt. Sie macht eine
Geste in Richtung der Toiletten und verschwindet wortlos.Sie hatte
von vornherein keine Lust, hierhin zu kommen, keine Lust auf
Stockbrot, billiges Bier und Sandkörner in der Unterwäsche. Flo
zuliebe ist sie mit gekommen, aber da er keinen Versuch unternimmt,
ihr zu folgen, schlägt sie den Weg zum clubeigenen Restaurant ein,
wo neben einem Buffet und höflichen Kellnern vielleicht auch der
schöne Unbekannte wartet. Die Flecken auf dem hellen Kleid sind kaum
sichtbar,dennoch ärgert sie sich darüber, als sie plötzlich eine
Bewegung aus dem Augenwinkel wahr nimmt. In dem dunklen Anzug sticht
er ebenso wie sie aus der Menge des Strandpartyvolks heraus. Er winkt
ihr zu und sie erwidert die Geste. Ihr Herz beschleunigt seinen
Rhythmus und sie muss sich bemühen, nicht allzu hektisch auf ihn zu
zu rennen, aber dennoch hat ihr Gang eine wippende Leichtigkeit
gewonnen.
Als die Sonne versunken
ist, wird es einfacher. Hände können sich in der Dunkelheit
verirren und dabei gleichzeitig den richtigen Weg finden. Im Schein
des Strandfeuers zählen Blicke doppelt und dreifach und was vorher
Vermutung, Hoffnung war, wird nun zur Gewissheit. Quiero claridad.
Wenn er spricht ist sein Gesicht voller Leben, eine faszinierende
Bühne für das Spiel von Flamme und Schatten. Sehnsucht ist der
Wunsch zu verglühen.
Ellen wirft den Kopf in
den Nacken und lacht, als er einen Witz über die Strandhippies
macht. Sie haben sich von der Party entfernt, spazieren dicht am
Wasser entlang und lassen sich die Füße von den Wellen umspülen.
Ellen genießt die Abkühlung ebenso wie seine Gesellschaft. Bereits
am ersten Tag ihres Urlaubs war er ihr aufgefallen, aber zu dem
Zeitpunkt hatte sie noch an etwas geglaubt, von dem sie jetzt weiß,
dass es irreparabel zerstört ist. Immer wieder haben sich ihre
Blicke in den vergangenen Tagen gekreuzt und bald schon ertappte sie
sich dabei, wie sie nach ihm und seinem Lächeln suchte. Auch jetzt
ist es wieder da, umspielt seine Lippen wie eine Andeutung und als er
plötzlich stehen bleibt und ihre Hand nimmt, so dass sie sich zu ihm
drehen muss, zuckt sie nicht zurück. Sie hat von diesem Kuss
geträumt und nun ist sie zugleich enttäuscht über seine
Zurückhaltung und geschmeichelt von der damit einhergehenden
Höflichkeit.
„Wie heißt du?“
Er nickt, als hätte er
diese Frage erwartet.
„Das habe ich vor
langer Zeit vergessen. Aber wenn du möchtest, kannst du mich den
Fährmann nennen.“
„Was?“
Ellen lacht unsicher und
tritt einen Schritt zurück, aber er hält ihre Hand weiter fest.
Sanft küsst er ihre Fimgerknöchel und als er den Blick wieder hebt,
haben seine Augen einen traurigen Ausdruck.
„Es tut mir leid,
Ellen.“
Noch immer birgt der Sand
die Hitze des Tages. Flo hat eine Entscheidung getroffen. Schon lange
hat er Ellens Unzufriedenheit gespürt, die vielen Nörgeleien, die
unzähligen Versuche, ihn zu verletzen. Er trägt ihr nichts nach und
wünscht ihr das Allerbeste, all das wird er ihr sagen, aber erst
morgen. Heute ist er berauscht von der Erleichterung und vom Glück.
Neben ihm ringt Bartolome noch immer nach Atem und als er ihn
gefunden hat, jagt sein Flüstern eine Gänsehaut über Flos
glühenden Körper.
„Te quiero tanto.“
Das Wasser umspült ihre Knöchel eiskalt, aber Ellen kann sich nicht
bewegen. Ihre Schreie sind stumm, aber noch immer ist ihr Mund weit
geöffnet. Nur selten begreifen sie die Ausweglosigkeit ihrer
Situation und gerade wenn sie so jung sind, tun sie dem Fährmann
leid. Dennoch muss er seine Aufgabe zu Ende bringen. In seinen
Fingern hält er ein Formular und trägt mit vor, was darauf
geschrieben steht. Eigentlich ist das Papier eher Formsache, er
erledigt seine Aufträge immer gewissenhaft und kennt den Inhalt
längst. Mit sanfter, tiefer Stimme berichtet er Ellen von dem
Kavernom, das wie eine köstliche verbotene Frucht in ihrer Medulla
oblongata heran gereift ist, um in diesem Moment aufzubrechen.
Die Welle ist rot und warm, wogt zwischen den Welten und Ellen
gleitet darauf und ihre Gedanken sind so leicht und flatterhaft wie
die aller Verliebten.