Donnerstag, 31. Januar 2013

Nachklapp



Was folgt, ist Nachklapp. In der letzten Minute dröseln sich die Fäden auf und dennoch lächelt Johann. Sein Gesicht glänzt schweißfeucht im flackernden Blaulicht, aus einem Riss an der Braue läuft Blut, bahnt sich seinen Weg über glatte Haut ins dunkle Dickicht der Haare. Draußen schreit jemand Anweisungen, aber es ist egal. Johanns Hand legt sich über meine, die voller Blut ist, und unsere Blicke treffen aufeinander. Schritte und laute Rufe im Erdgeschoss, auf der Treppe, im Gang, aber sie sind ebenso zu spät, wie ich.

Johanns Problem war die Zeit. Er kannte sie, er verstand sie, aber er weigerte sich, sie als gegeben zu nehmen. Er wusste, wann es Zeit war, zu schweigen oder den Blick zu senken, aber er tat es nicht. Den Pakt mit dem Teufel schloss er nicht an einem einzigen Tag, er wurde über Monate und Jahre hinweg erarbeitet. In Sitzungen, die die Stille der Nacht durchbrachen, einem stetigen Kräftemessen, das vor unseren Augen statt fand, der blutigen Debatte über Prämissen und Sanktionen. Ob Johann gezielt handelte, oder einfach nicht anders konnte, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass wir anderen nach und nach unser schweigendes Einverständnis gaben. Es war der einfachere Weg, nahm die Schuld von der logischen Erkenntnis, dass die Bestie, solange sie sich gegen Johann wandte, wenigstens die anderen in Ruhe ließ. Wir lernten, zu schweigen, die Stimmen nur dann zu erheben, wenn es galt, die Geräusche aus dem oberen Stockwerk zu übertönen. Mit jedem abgewandten Blick, jedem Drehen am Lautstärkeregler, vor allem aber, als wir begannen, in Johanns Lächeln Provokation statt Unbekümmertheit zu sehen. Es heftete sich auf seine Lippen, zuckte verächtlich im Takt der Gürtelschläge und sorgte dafür, dass die Hand der Bestie nicht müde wurde. Es strahlte unter Nasenblut, wurde breiter, wenn es Schreie zurück hielt und zeigte Zähne, wenn zu Pfeilen geschärfte Worte stumpf an Johann abprallten. Wenn der Kopf meines Bruders in der Toilettenschüssel steckte, wanderte es durch seine ausgestreckten Arme in die aufgestellten Mittelfinger, ein obszöner Christus, der die Wut des Teufels über ihm am Brennen hielt. Seinen Blick verbarg Johann unter einem Vorhang aus dunklem Haar und bei den seltenen Gelegenheiten, in dem er ihn hob, gab ich mir Mühe, ihm auszuweichen. Feucht und gehetzt, hätte er ihn verraten.

An diesem Abend hat er mich getroffen, mit flehender Intensität, die das Lächeln Lügen strafte. Aber es lag nicht an Johanns Blick. Auch nicht an der Tatsache, dass ich erstmals Zeuge wurde, wie er sich wehrte und die Bestie unter unseren entsetzten Blicken zu Boden ging. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der sie uns auf ihrer Seite glaubte, als sie sich wieder aufrappelte und Johann die Abreibung seines Lebens versprach. Mein Wissen, dass Johanns Lächeln nicht den Misshandlungen, sondern unserer Passivität galt, spiegelte sich in seinen Augen, als Vater Johann über die Treppe prügelte. Es setzte sich in Aktivität um, als ich die dumpfen Schläge hörte, trieb mich nach oben, wo Johanns Stirn rote Flecken auf der hellen Tapete hinterlassen hatte. Er wehrte sich nur noch schwach gegen die Bestie, die über ihm kniend wieder und wieder zuschlug. Und dann setzt die Erinnerung aus.

Was folgt, ist Nachklapp. Sie geben uns Anweisungen, wie wir uns zu verhalten haben. Etwas blockiert die Tür, sie lässt sich nicht ganz öffnen und sie zwängen sich durch den schmalen Spalt. Sie sind sowieso zu spät. Jemand zieht mich hoch und biegt meine Arme nach hinten, während sich ein Sanitäter neben Johann kniet. Sein Kollege beugt sich über die Gestalt hinter der Tür, misst wo es nichts mehr zu messen gibt. Die Bestie hat ihren letzten Atemzug getan. Als sie mich nach draußen zerren, begegne ich Johanns Lächeln und spüre, wie sich meine Lippen verziehen.