Montag, 1. Juli 2013

Elefantenmädchen - Kein Bock!









Sicherlich hatten die Eltern des Mädchens Gutes im Sinn, als sie es in dem Turnverein anmeldeten. Das Mädchen selbst hatte auch nicht allzu viel dagegen, fand es aufgrund seines freundlichen Wesens doch schnell Anschluss und freute sich über neue Bekanntschaften. Die erste Turnstunde verlief dann auch viel versprechend. Man übte sich im Dauerlauf und ohne viel Mühe tat sich das Mädchen hervor und erntete Lob. Auch die folgenden Stunden brachten Spaß, sodass das Mädchen schnell jegliche Zurückhaltung ablegte. Auch ein neuer Aufbau weckte kein Misstrauen. Eine Anlaufstrecke, ein Sprungbrett, ein vierbeiniges Gerät und eine weiche Matte für die sichere Landung verhießen nichts Beunruhigendes. Interessiert beobachtete das Mädchen, wie die Kameradinnen gazellengleich das Hindernis überwanden. Als es an der Reihe war, nahm es Anlauf, sprang ab und landete platschend auf der lederbezogenen Oberfläche des Bocks. "Nun ja, erster Versuch gescheitert, nicht aufgeben.", dachte das Mädchen noch und übersah, dass es sich auf dem Weg in die Hölle befand.

Das Körpergefühl ist eine garstige Sache und seine Entdeckung oft der Verlust der Unbefangenheit.

Am Abend begutachtete das Mädchen seine Beine und neben der rot gescheuerten Haut fiel ihm auch die Form auf, die sich deutlich von der der Gazellen unterschied. Elefantig war das Wort, das ihm in den Sinn kam. Und nicht nur ihm.

Ärgerlicherweise kam der Bock nun fast jede Stunde zum Einsatz und Lob erntete das Mädchen nur noch bei den seltenen Gelegenheiten, da es den Bock doch einmal ruckelnd übersprang und unsicher taumelnd auf der Matte landete. Und dieses Lob war so gönnerhaft, dass die Gazellen die Augen rollten und dem Mädchen ganz elend wurde. Später in der Umkleide fand es seine Straßenkleidung unter der laufenden Dusche.

In jener präpubertären Phase bildet sich nicht nur das eigene Selbstbewusstsein heraus, es steht und fällt auch mit dem Vergleich. Und es ist auch jene Phase, in der zickige Kleinmädchenspitzen die Durchschlagskraft einer Panzerfaust entwickeln. Spitzen gab es zu genüge. Abgesehen von der Tatsache, dass das Mädchen nun das Elefantenmädchen genannt wurde, fanden sich allzeit Gelegenheiten, sich über seine Unsportlichkeit lustig zu machen. Pädagogische Wahnvorstellungen und vielleicht eine kleine Prise Sadismus hielten die Gruppenleiterin vom Eingreifen ab. War das Elefantenmädchen doch auch zu verstockt, die Neckereien als Ansporn zu nehmen.

An einem Abend saß das Mädchen erschöpft vor dem Fernseher. Fast eine Stunde hatte es gedauert, den Geruch nach WC Stein aus der Wollmütze, die seine Mutter gestrickt hatte, zu waschen. Heimlich, versteht sich. Zu viele Lügen bezüglich verschmutzter/kaputter/ verschwundener Kleidungsstücke hatten seine Phantasie erschöpft. Aber dort auf dem Bildschirm ereignete sich Wunderliches und Wunderbares. Eine ganze Herde Gazellen floh in Panik vor einem Wesen, dass ihnen an Eleganz gleich war, sie aber an Geschwindigkeit übertraf. Mit leuchtenden Augen beobachtete das Mädchen, wie die Gepardin schließlich eine Gazelle zu Boden riss und ihr die langen Zähne in den schlanken Hals grub.

Am nächsten Tag wechselte das Elefantenmädchen in die Laufgruppe, deren Trainerin sich von der ausgeprägten Wadenmuskulatur beeindruckt zeigte. Ab und an versammelten sich einige der Gazellen am Rand der Laufbahn und kommentierten, bis man sie verscheuchte. Ein paar Mutige schlichen sich in die Umkleidekabine der Läufer, um sich dem Vandalismus zu widmen und den Terror durch seine Fortsetzung zu rechtfertigen.


Allein, das störte das Elefantenmädchen nicht mehr, denn eins wusste es: Entweder würde es in wenigen Jahren vollends zu einer wunderschönen Gepardin heran gereift sein, oder es würde sich eine Schrotflinte besorgen und die Dinge anderweitig regeln.