Mit zwölf,
müssen Sie wissen, konnte Gabriel einen Schmetterling aus sechs
Metern Entfernung mit dem Messer treffen. Aber er zielte lieber auf
die Spinnen.
Ihre Hände zittern nicht, als sie sich
das Haar aus dem Gesicht streicht und so den Blick auf ihre linke
Gesichtshälfte frei gibt. Er hat sich darauf vorbereitet und
tatsächlich ist der Anblick weniger schlimm, als vermutet. Er kennt
ihre Geschichte, hat Akten gelesen, Fotos studiert und jeden
auffindbaren Zeugen ihres Lebens befragt.
Noch war der Sommer der Liebe fern,
aber ein warmer Wind kündete von seinem Nahen. Sanft trocknete er
die Schweißperlen auf der Stirn der Frau und umschmeichelte sie so
zärtlich, dass der Junge ihren Körper widerstandslos verließ. Wie
eine Erbse aus der Schote glitt er in die Geborgenheit des ihm
zugedachten Seins, in die warme Umarmung seiner Eltern, die ihn
lachend und weinend und so glücklich in dieser Welt begrüßten,
dass er das Schreien einstellte und ihnen die Gnade seines ersten
Blicks schenkte.
Noch war der Sommer der Liebe fern,
aber hierher hätte er sich sowieso nicht verirrt. Kaltes Licht
färbte die Haut der Frau grünlich. Sie schwitzte, stank und schrie.
Abgestandener Atem drang stoßweise zwischen ihren gebleckten Zähnen
hervor und wandelte sich in einen gutturalen Schrei, als sie all
ihren Hass bündelte und das Mädchen mit der letzten Presswehe aus
ihrem Körper zwang.
Ein bläulicher Klumpen, überzogen von
Blut und weißer Schmiere, mit verzerrtem Mund aus dem ein dünnes
Heulen drang. Als man das kleine Gesicht reinigte, trug es die Züge
des Vaters und die Mutter brüllte vor Ekel.
Er hatte Probleme mit ruhenden
Zielen. Seltsam, nicht wahr? Wenn sich etwas bewegte, traf er besser.
Sie
betrachtet die Fotos, die er ihr mitgebracht hat. Er hat sie aus
nicht ganz legalen Quellen, was ihn sorgt, aber ihr Interesse daran
lässt die Bedenken verschwinden.
Unzählige Blätter hatten sie mit
Namen beschrieben. Viele wurden verworfen, weil sie nichtssagend
klangen, andere waren außergewöhnlich, aber von einer Größe,
deren Ansprüche das Kind erdrücken konnte. Der Name den sie wählten
stand auf keiner ihrer Listen, er war keine Entscheidung, die man
traf, sondern erschien selbstverständlich, als ihre staunenden
Blicke die tiefblauen Augen ihres Erstgeborenen fanden. Gabriel.
Unzählige Male hatten die Eltern sie
gebeten, einen Namen zu wählen, aber sie hatte es nicht gekonnt.
Wenn sie die Kinder in der benachbarten Grundschule beobachte,
vermochte sie keine Verbindung zwischen ihnen und dem heranwachsenden
Krebs herzustellen. Auch als sie vor der Glasscheibe stand und leeren
Blickes den Dämon inmitten der Neugeborenen betrachtete, konnte sie
sich nicht entscheiden. Hass.Teufel. Dreck. Die Hand ihrer Mutter
grub sich schmerzhaft in ihre Schulter, noch bevor sie der Frau mit
den Papieren antworten konnte. Martha.
Gott liebte. Aber manche mehr.
Gott vergab. Aber nicht jedem.
Er war schön. Ich müsste sagen,
dass ich ihn mochte weil er sanft war und freundlich. Weil er mich
vor dem Spott der anderen Kinder beschützte. Aber all das kam
später. Am Anfang liebte ich ihn seiner Schönheit wegen. Ein Ideal,
dessen Faszination man sich nicht entziehen kann. Verstehen Sie?
Die Bilder auf denen sie abgebildet
ist, legt sie achtlos beiseite. Sowieso sind es nicht allzu viele.
Diejenigen, die Gabriel zeigen, betrachtet sie mit schüchterner
Zärtlichkeit. Dann findet sie eines, auf dem sie gemeinsam
abgebildet sind. So unerwartet breitet sich ein Lächeln auf ihrem
Gesicht aus, dass er gegen eine plötzliche Rührung ankämpfen muss.
Gabriels Schönheit versetzte Fremde,
die von den glücklichen Gesichtern seiner Eltern angelockt einen
Blick in seinen Kinderwagen warfen, in haltloses Entzücken. Sein
Charisma wuchs mit ihm, ebnete ihm den Weg in Herzen, ohne ihn zu
verderben. Sommeraugen. Blau, tief, entrückt, Goldlocken und ein
ewiges Lächeln. Zu viele Gaben, um nicht das Interesse der
dreizehnten Fee zu wecken.
Das Dilemma war quälend. Die Polizei
hatte ihn nie gefunden und lähmende Angst überkam sie, wann immer
sie das Haus verließ. Aber auch dort war sie nicht sicher. Er
lauerte in dem Mädchen. Nicht nur hatte er ihr diesen Krebs
eingepflanzt, nein, als er aus ihr herausgebrochen war, hatte sie
gesehen, dass der Teufel als letzte Demütigung sein Gesicht auf das
seiner Saat gestempelt hatte. Das Erbe machte Zärtlichkeiten
unmöglich, aber das Kind wuchs auch so und mit ihm die Erinnerung
und der Hass Ein stilles Mädchen, unauffällig und folgsam, aber es
hatte die Augen des Teufels. Kieselaugen. Graugrün, blank und hart.
Die Mutter ertrug seine Blicke nicht und drohte dem Kind, bis das
nicht mehr genügte und ein kitzelndes Verlangen sie zu Taten trieb.
Gott liebte, aber manchmal war er
unaufmerksam.
Gott vergab, aber manchmal verlangte er
einen hohen Preis.
Verständlicherweise lag meiner
Mutter wenig daran, mich fotografieren zu lassen und meine Erinnerung
ist unscharf. Eigentlich kenne ich mein Gesicht nur so.
Die Narbe zieht
sich vom linken Mundwinkel bis weit über die Wange. Eine schmale
Linie, die sich kaum von der Haut abhebt, aber ihren Mundwinkel nach
oben zieht und dem Gesicht einen unangenehm wissenden, anzüglichen
Ausdruck verleiht. Wie er jetzt bemerkt, neigt sie den Kopf zur
Seite, um das schiefe Lächeln etwas auszugleichen. Er hatte
Nervosität erwartet. Unruhige Hände, ein Zittern in der Stimme,
aber sie ist vollkommen gelassen, als sie weiter spricht.
Die Spinne saß neben dem roten Fleck
an der Unterseite der Matratze. Eine Winkelspinne. Mehr als
kinderhandtellergroß. Sanft vibrierte sie im Rhythmus der Schläge
und Stöße von der Oberseite des Betts. In einem weit entfernten
Land tanzten Zehntausende entrückt für den Frieden. Vor dem Fenster
tanzten die Glühwürmchen. In dem kleinen Schlafzimmer tanzte der
Wahnsinn. Die unterdrückten Schreie seiner Mutter waren verstummt,
nur das Keuchen der Fremden war noch zu hören. Auf dem Läufer im
Flur lag sein Vater so regungslos und blutüberströmt, dass Gabriel
nicht hinsehen konnte. Stattdessen starrte er auf die Spinne. Bis zu
jener Nacht hatte er geglaubt, dass diese Tiere seine größte Furcht
seien. Es gab neue Geräusche, aggressives Flüstern und dann ein
obszönes Schmatzen. Der rote Fleck wuchs, berührte ein Spinnenbein.
Das Tier bewegte sich, langsam stakste es über die raue Oberfläche,
streckte seine Gliedmaßen prüfend in die ein oder andere Richtung,
bis es eine Entscheidung getroffen hatte. Sanft setzte die Spinne ihr
Bein auf sonnenbraune Kinderhaut. Als der restliche Körper folgte,
biss Gabriel seine Unterlippe durch.
Der Hass der Mutter war wie das Meer,
heftig aber berechenbar. Es gab Mittel und Wege, sich zu schützen.
Möglichst viel Zeit draußen verbringen. Verbergen, was einem am
Herzen lag, weg sehen, bevor Blicke sich kreuzten. Nicht lächeln.
Das war am wichtigsten. Das Lächeln war böse, beschwor Sturmflut,
Tsunami und Schiffbruch. Das Mädchen achtete darauf, die Regeln zu
wahren, aber auch in ihm verbarg sich das Temperament der See, trieb
sie an manchen Tagen dazu, aufzubegehren. Mit einer falschen Geste,
einem falschen Blick, oder eben einem Lächeln. An jenem Abend war
das Lächeln hartnäckig. Es blieb haften, als gezischte Drohungen
fielen, zog sich in die Breite, als ein Teller flog und strahlte
verachtend, als die Hände der Mutter es klatschend aus dem Gesicht
zu wischen suchten. In einem weit entfernten Land tanzten
Zehntausende unter dem Einfluss halluzinogener Substanzen. Vor dem
Fenster tanzten Schnaken. In dem schummrigen Wohnzimmer tanzte der
Wahnsinn. Es war ein Versehen, geschah, als das Mädchen sein Lächeln
bereits verloren hatte und das Gesicht Schutz suchend abwandte, dass
der Finger der Mutter seinen Mundwinkel einriß. Es war ein Versehen,
aber das schmatzende Geräusch, als zuerst die Haut und dann das
Fleisch des Kindes rissen, war so befriedigend, dass sie noch ein
wenig heftiger zog.
Teil II