Sonntag, 24. Februar 2013

Wochenendfrau



Wie Tirza




Es ist klüger, etwas so lange still Gelegtes langsam in Bewegung zu setzen. Die Scharniere zu ölen, und die Maschinerie sanft und untertourig laufen zu lassen. Allein die Zeit fehlt und so setzen wir alles aufs Spiel. Sowieso ist er ein Spieler, ein Draufgänger und zelebriert an mir seine Extravaganz. Der Sex ist ebenso aufregend wie zermürbend, lässt vergessen, dass die Ringe an unseren Fingern nicht zusammen passen und es außerhalb dieser Scheune eine Welt gibt. Seine rechte Handfläche mit der unnatürlich glatten Haut, die viel mehr weiß als jede Lebenslinie, legt er zärtlich an meine Wange. Es ist ein kurzer Moment der Schwäche, dann lässt er sie zu meinem Hals gleiten. Wie ich benutzt er nur Zeige- und Mittelfinger und weiß, wo er sie anlegen muss. Im Rausch schien es eine gute Idee, jetzt sehe ich seinen Blick, aber die Angst ist schwächer als die Gier. Eins sein ist ein romantischer Euphemismus, denn tatsächlich sind wir in diesem Augenblick Legion. Ein letzter verzweifelter Versuch, meine Hand zurückzuziehen, aber es ist zu spät. Verführerisch pocht die Ader unter weicher Haut. Seine, meine, eins. Ich sehe noch, wie ein Gefäß in meinem Auge platzt und komplementäres Rot das tiefe Grün umschmeichelt, dann wird es Nacht.
Um mich herum bricht die Welt zusammen, krampft und erdrückt. Die Frau schwitzt und keucht, aber am schlimmsten sind ihre Schreie. Nicht aus Schmerz oder der Trauer, dass niemand hier ist, ihre Hand zu halten, nein. Sie schreit vor Wut und Abscheu und sie schreit meinetwegen. Und ich schreie zurück, denn sie stößt mich in eine Welt voller Dämonen.
Angst zählt man hier in Tageszeiten. Die Nächte sind am Besten. Ruhig und kühl und manchmal findet sich in anderen Betten Zuflucht und Nähe. Vormittage vergehen in der Schule, aber bereits nach der dritten Stunde kriecht die Angst knödelig in den Magen. Das Mittagessen bringe ich nicht herunter. An guten Tagen hat sie Migräne und schläft bis zum Abend. An schlechten schickt sie meine Brüder zum Spielen nach draußen. Es gibt Unterschiede zwischen den schlechten Tagen. Fast ist es besser, wenn sie einfach nur schreit und zuschlägt. Heute weint sie, leise und verzweifelt und da die Haushälterin nicht da ist, gehe ich freiwillig nach oben und ziehe ein Kleid an, setze mich dann auf ihren Schoß und lasse mich frisieren.
In uns ist Dunkelheit. Keine klare Schwärze, sondern etwas Brodelndes, Zähflüssiges wie kochender Sirup. Manchmal tritt es nach außen und wird sichtbar. „Mein armer Schussel.“ Die Haut wirft Blasen, während die Haushälterin eine Salbe aufträgt und sich blind stellt. Dämonen können liebe, runzlige Gesichter haben. Dämonen können als Brüder verkleidet den Blick abwenden. Kein Kind kann seine Hand freiwillig solange auf eine heiße Herdplatte pressen. Aber es gibt Lektionen zu lernen, denn brave Mädchen fassen sich dort nicht an, Mm-mm, und wer nicht hören kann…oh ja.
Samstag. Zwei Stunden Autofahrt in stickiger Hitze und dann mehr Dämonen. Verkäuferinnen mit immer neuen, immer verspielteren Kleidchen. Wangetätschelnde Omas hauchen mir gasigen Mundgeruch ins Gesicht: „Und ist die Kleine nicht niedlich? Wie heißt sie denn?“ Klebrige Zitronenbonbons aus schwarzen Handtaschen und ihr Arm krallt sich in meine Schulter. „Dreh dich mal vor dem Spiegel, damit wir sehen, wie hübsch du bist.“ Und jemand singt ein Kinderlied und klatscht, während ich die Augen schließe und mich drehe, bis ich eine Mischung aus Zitronenpampe, Wut und Angst über die Vorderseite des neuen Kleides kotze und mein Name ist Lukas. Dunkelheit.
„Tut mir Leid.“ Er liegt neben mir und streichelt mich mit seiner vernarbten Hand. Unter mir schließen sich Abgründe. Die Nachmittagssonne fällt in einem schrägen Winkel durch die staubigen Fenster und trocknet den Schweiß, während ich noch nach Worten suche. Allein, es gibt keine, nur Erinnerungen an harmlose Neckereien, heftige Ausbrüche und Trennungsschmerz. Konjunktive können wie Messer schneiden. Wir sollten uns ein letztes Mal küssen, aber draußen wartet die Welt und wir müssen Dämonen jagen.