Mittwoch, 27. Februar 2013

Initiation










In jener Nacht jagte Lilith Leonidenschwärme über das mondlose Firmament und die Talmenschen verbargen sich zitternd in ihren Hütten. Auf den Gipfeln, wo sich die Wölfe sammelten, war die Erschütterung nicht mehr als ein sanftes Wiegen und ein warmer Wind strich über das seidige Fell der Kreaturen. Es war ihre Stunde und dennoch schwiegen sie, denn er war nah, zog mit der Nacht und zehrte von der Angst, die man ihm zu Füßen gelegt hatte. Man nannte ihn den Schmied, aber seine Statur war die des Hungerlöhners und seine Worte hatte er den verzweifelten Dichtern entrissen.

Ich wartete auf dem Plateau, beobachtete ihn geduldig beim Spiel mit den Bestien, wohl wissend, dass er die Grässlichste unter ihnen war. Seine Bewegungen waren schnell und geschmeidig und ich zuckte zusammen, als er plötzlich direkt vor mir stand. Sein Gesicht, glatt und wie aus Elfenbein geschnitzt, war geschaffen, um Schöße zu öffnen und erwachsene Männer in die Knie zu zwingen. Ein Lächeln lag darauf und unter dem Licht des brennenden Himmels, leuchtete sein Haar wie gediegenes Kupfer. Einen Schnitzer hatte ich bereits gemacht und es war brutale Körperbeherrschung, die es mir ermöglichte, still zu stehen, während er hinter mich trat. Seine Hand war sanft und der Umhang glitt von meinen Schultern.

„Entstiegen aus den dunklen Tiefen, verflucht all jene, die mich riefen...“ Die Stimme des Schmieds war eigenartig hell und sein Atem in meinem Nacken kälter als die Nacht. Einige Augenblicke verharrte sein Lächeln auf meiner Schulter, dann drehte er mich zu sich und trat einige Schritte zurück. Bevor er seinen Mantel ebenfalls ablegte, zog er ein Stoffbündel aus der Tasche und entrollte es vor meinen Augen. Flache, fein gearbeitete Klingen, damaszener Stahl, in deren melierte Oberflächen Zeichen graviert waren. אחא stand auf einer, aber für mich zog er eine andere, bevor er das Bündel achtlos hinter sich warf und sich aus den Schichten seiner Kleidung befreite.

Noch immer trug er das Lächeln im Gesicht, brennend wie der Kuss des Asmodeus und aufrichtig wie der Schwur eines Liebenden und es traf mich tief und endgültig. Auf seinen geflüsterten Befehl hin, begann ich ebenfalls, mich zu entkleiden und sehnte mich nach dem Wein, den mir die verängstigten Talmenschen angeboten und den ich mit närrischer Sorglosigkeit abgelehnt hatte. Sein Lied wurde lauter, wilde, uralte Poesie und Lust verdrängte den Spott aus seinem Blick. Seine Berührung war heiß und als ich zurück zuckte, zog er mich an sich. Haut an Haut, aber das genügte ihm nicht und ich spürte, wie die Klinge in die Haut über meiner Wirbelsäule schnitt, eine gerade Linie, so zart, wie die Finger seiner Hand in meinem Nacken. Der letzte Rest Finsternis wich dem Glühen und ich gab mich hin, ließ zu, sehnte mich mit so unzähmbarem Hass nach ihm, dass ich meine Nägel unter seine bleiche Haut trieb und begann, sie ihm vom Leib zu reißen. Die Mühe machte meinen Atem schwer, fauchend griff ich nach dem Messer, aber er entzog es mir lächelnd, flüsterte von Geduld und so musste ich mir mit Klauen und Zähnen behelfen. Erst als wir einander bloß und glänzend gegenüberstanden, war er zufrieden. Sein Kuss war Vorwand und die sanft aufgeflackerte Begierde ging in wilde Raserei über, als er mich ins Feuer stieß. Er war über mir, in mir, er war der Schmied und ich demütiger Stahl in seinen Händen. Das Lied verstummte, machte Trommeln Platz, dem monotonen Klang eines wachsenden Kristalls, seinem Rhythmus und ich schrie meine Dankbarkeit in die Nacht. Der zweite Rhythmus kam aus der Finsternis, anfangs sanft, dann stärker und während mir die Glut das Fleisch von den Knochen sengte, sah ich Angst in seinen Augen. Über mir zitterte der Schmied in plötzlichem Grauen, als er erkannte, dass ich den Takt vorgab. Ein Schrei löste sich aus seiner Kehle, aber ich erstickte ihn mit hautlosen Lippen, trank ihn, spürte seine Angst, die sanft wie Wein in meine Kehle glitt und meine Macht. Das heisere Lamento meines Geliebten durchdrang die letzte Stille, Kummer und Wut, denn es war sein Feuer, in dem wir einander schmiedeten, aber natürlich war ich Stahl und er nur Schlacke. Wir versanken in der Glut, orange lodernd, gasblau und zuletzt, als er in mir verging, leuchtend weiß.

Der Morgen dämmerte trüb, als ich mich aus der Asche erhob. Im fahlen Licht des Tages kniete ich in den Überresten des Schmieds und vergoss eine Träne über den jugendlichen Wahnsinn und seine verlorene Schönheit. Dann schob ich meine Hand in die Asche, bis ich fand, was mir gehörte. ܚܘܒܐ. Die Klinge war von ungleicher Grazie und ich verstaute sie sorgfältig, bevor ich mich auf den Weg machte.
„Entstiegen...“ ich kannte den Text. Allein an die Melodie würde ich mich gewöhnen müssen.


Inspiriert von Tana und Schönfüßlein


Sonntag, 24. Februar 2013

Wochenendfrau



Wie Tirza




Es ist klüger, etwas so lange still Gelegtes langsam in Bewegung zu setzen. Die Scharniere zu ölen, und die Maschinerie sanft und untertourig laufen zu lassen. Allein die Zeit fehlt und so setzen wir alles aufs Spiel. Sowieso ist er ein Spieler, ein Draufgänger und zelebriert an mir seine Extravaganz. Der Sex ist ebenso aufregend wie zermürbend, lässt vergessen, dass die Ringe an unseren Fingern nicht zusammen passen und es außerhalb dieser Scheune eine Welt gibt. Seine rechte Handfläche mit der unnatürlich glatten Haut, die viel mehr weiß als jede Lebenslinie, legt er zärtlich an meine Wange. Es ist ein kurzer Moment der Schwäche, dann lässt er sie zu meinem Hals gleiten. Wie ich benutzt er nur Zeige- und Mittelfinger und weiß, wo er sie anlegen muss. Im Rausch schien es eine gute Idee, jetzt sehe ich seinen Blick, aber die Angst ist schwächer als die Gier. Eins sein ist ein romantischer Euphemismus, denn tatsächlich sind wir in diesem Augenblick Legion. Ein letzter verzweifelter Versuch, meine Hand zurückzuziehen, aber es ist zu spät. Verführerisch pocht die Ader unter weicher Haut. Seine, meine, eins. Ich sehe noch, wie ein Gefäß in meinem Auge platzt und komplementäres Rot das tiefe Grün umschmeichelt, dann wird es Nacht.
Um mich herum bricht die Welt zusammen, krampft und erdrückt. Die Frau schwitzt und keucht, aber am schlimmsten sind ihre Schreie. Nicht aus Schmerz oder der Trauer, dass niemand hier ist, ihre Hand zu halten, nein. Sie schreit vor Wut und Abscheu und sie schreit meinetwegen. Und ich schreie zurück, denn sie stößt mich in eine Welt voller Dämonen.
Angst zählt man hier in Tageszeiten. Die Nächte sind am Besten. Ruhig und kühl und manchmal findet sich in anderen Betten Zuflucht und Nähe. Vormittage vergehen in der Schule, aber bereits nach der dritten Stunde kriecht die Angst knödelig in den Magen. Das Mittagessen bringe ich nicht herunter. An guten Tagen hat sie Migräne und schläft bis zum Abend. An schlechten schickt sie meine Brüder zum Spielen nach draußen. Es gibt Unterschiede zwischen den schlechten Tagen. Fast ist es besser, wenn sie einfach nur schreit und zuschlägt. Heute weint sie, leise und verzweifelt und da die Haushälterin nicht da ist, gehe ich freiwillig nach oben und ziehe ein Kleid an, setze mich dann auf ihren Schoß und lasse mich frisieren.
In uns ist Dunkelheit. Keine klare Schwärze, sondern etwas Brodelndes, Zähflüssiges wie kochender Sirup. Manchmal tritt es nach außen und wird sichtbar. „Mein armer Schussel.“ Die Haut wirft Blasen, während die Haushälterin eine Salbe aufträgt und sich blind stellt. Dämonen können liebe, runzlige Gesichter haben. Dämonen können als Brüder verkleidet den Blick abwenden. Kein Kind kann seine Hand freiwillig solange auf eine heiße Herdplatte pressen. Aber es gibt Lektionen zu lernen, denn brave Mädchen fassen sich dort nicht an, Mm-mm, und wer nicht hören kann…oh ja.
Samstag. Zwei Stunden Autofahrt in stickiger Hitze und dann mehr Dämonen. Verkäuferinnen mit immer neuen, immer verspielteren Kleidchen. Wangetätschelnde Omas hauchen mir gasigen Mundgeruch ins Gesicht: „Und ist die Kleine nicht niedlich? Wie heißt sie denn?“ Klebrige Zitronenbonbons aus schwarzen Handtaschen und ihr Arm krallt sich in meine Schulter. „Dreh dich mal vor dem Spiegel, damit wir sehen, wie hübsch du bist.“ Und jemand singt ein Kinderlied und klatscht, während ich die Augen schließe und mich drehe, bis ich eine Mischung aus Zitronenpampe, Wut und Angst über die Vorderseite des neuen Kleides kotze und mein Name ist Lukas. Dunkelheit.
„Tut mir Leid.“ Er liegt neben mir und streichelt mich mit seiner vernarbten Hand. Unter mir schließen sich Abgründe. Die Nachmittagssonne fällt in einem schrägen Winkel durch die staubigen Fenster und trocknet den Schweiß, während ich noch nach Worten suche. Allein, es gibt keine, nur Erinnerungen an harmlose Neckereien, heftige Ausbrüche und Trennungsschmerz. Konjunktive können wie Messer schneiden. Wir sollten uns ein letztes Mal küssen, aber draußen wartet die Welt und wir müssen Dämonen jagen.