Samstag, 27. April 2013

"Fünf Bier für die Männer vom Sägewerk!"












Ich bin ein Sonntagskind“, flüstert mein Geliebter bevor er in opiatweiche Träume taucht. Der Versuch, ihm zu folgen, scheitert am Kreischen der Mittagssäge. Also stehle ich seine Bilder. Ich sehe den Mann mit dem weißen Koffer und der kurzen Reaktionszeit. Ich sehe Nachbarn, Sanitäter, und Polizisten, wie sie die Beete durchstreifen. Wenn ich den Ton ausblende und die Bilder verlangsame, erinnert die Szene an Ostern, aber im Original ist es eine perverse Travestie. Hysterisch verwüsten sie den Garten, reißen die Pflanzen aus und werfen Blumentöpfe um. Ich sehe meinen Mann, eine ruhige Insel im Chaosmeer, aber beim Versuch, ihn zu fokussieren, bricht mir das Herz.

Die Angewohnheit, nicht ständig erreichbar zu sein, rächt sich. Seine Nachricht erreicht mich spät. Als ich im Krankenhaus ankomme, finde ich nur noch seine Mutter. Er ist bereits auf dem Weg in eine Spezialklinik.

Ich bin Seelsorgerin, für Krisensituationen geschult, geübt, ruhig zu handeln wenn um mich herum Welten zusammen brechen. Diesmal ist es meine eigene, aber ich funktioniere trotzdem. Ich rede mit seiner Mutter, versuche, ihre und damit meine Ängste zu reduzieren.

Selbstmitleid ist angenehmer als nagende Empathie und alles ist besser als warten. Während ich putze, hören die Hände auf zu zittern. Der Kopf verbleibt indessen im Ausnahmezustand. „Wenn ich jetzt anfange, zu weinen, werde ich nicht mehr aufhören können.“ Das Dolores Price Zitat passt noch zur Situation, ab dann wird es bizarr. Ich denke an Esthers Suche nach dem passenden Stofffetzen für das Loch in ihrer Strumpfhose, Veluthas lackierte Fingernägel und das verwüstete Entralla. Schockgedanken, Schulstoff, der Lappen ist voll gesaugt und noch immer gibt es zu viel Rot. Wie weh es getan haben muss. Wie viel Angst er wohl hatte, als er nach Rettungswagen und Kühlakkus schrie, die Finger in, statt an seiner rechten Hand. Die Sanitäter lobten seine Gelassenheit. Die Ruhe, mit der er ihnen von seiner Penicillinunverträglichkeit berichtete, während man im Hof des Nachbarn den letzten Finger fand.

Die Stelle vor der Werkstatt ist irgendwann sauber. Einzig die Mittagssäge steht noch lauernd und zugleich unschuldig an ihrem Platz. Ich ziehe den Stecker und kappe das Kabel. Niemand soll sie mehr benutzen, denn ihr Blatt schneidet tief, zertrennt Sehnen, Knochen und Träume.

Menschen machen Fehler. Kleine Fehler, mittlere Fehler und eben jene, die das Leben binnen Sekunden in eine andere Umlaufbahn schleudern. Ich flüchte mich in die Gedanken, dass es so vielen anderen schlechter geht, aber sie verweigern mir den Zutritt. Lieber kreisen sie um seine Finger, diese geschickten Finger, die jahrhundertealten Fundstücken Sinn und Leben zurück geben, diese geübten Finger, diese schönen, sanften Finger.

Sechs Stunden lang dauert der Versuch, zurück zu bringen, was verloren scheint. Währenddessen schließe ich unsinnige Verträge mit mir selbst, beknie träge Minuten und reaktiviere eine seit Jahren ungenutzte Leitung. In der Nacht dann der Anruf, dass er aus der Narkose erwacht sei. Der Weinkrampf ist ebenso lang wie erlösend.

Meinen Schülern lüge ich vor, dass Traurigkeit ein Abstraktum sei. In Wahrheit ist sie bleischwer und von grausamer Gegenwärtigkeit. Sie sitzt in jeder Ecke des Krankenhauszimmers, in den gütigen Augen meines Mannes, nur auf den Platz zwischen uns traut sie sich nicht. Er ist reserviert für Verzweiflung und Zuversicht.

Ein kluger Mensch rät uns, die Vokabel „hätte“ aus dem aktiven Wortschatz zu streichen, aber der Konjunktiv ist verführerisch. Ich suhle mich in negativem Trost, dessen Bitterkeit wie Salz auf den Lippen brennt.

Tagsüber will ich sehen, was schwarz verkrustet unter dem dicken Verband lauert, will sehen und begreifen. Will ihn greifen sehen. Nach einem Kugelschreiber, seinen Pinseln, der Hoffnung.
Nachts sehne ich mich nach jodgelber Haut und dem beißenden Geruch von Desinfektionsmittel. Das Bett ist kälter als in jenen Nächten, die wir freiwillig getrennt verbringen. Wir haben die Geduld verlernt, stemmen uns hilflos gegen unser Leben, das sich wie eine Drehtür verklemmt hat, während die Welt vorbei rast.

Die Stunden im Krankenhaus sind emotionale Achterbahnfahrten. Weinen, Negativtrost, das darauf folgende schlechte Gewissen über die Tatsache, dass wir uns am größeren Leid anderer hoch ziehen. Reden. Über das was war, über das was sein wird. Es scheint undenkbar, dass beides in ein Leben gehört. Und dennoch wird es zusammen wachsen. Wir machen erste vorsichtige Witze, miteinander, mit den Freunden, die von der Situation verunsichert langsamer auftauen als normal, mit der Pflegerin, die den Tropf wechselt. Sie mag meinen Mann, die ganze Station mag ihn, aber das fällt leicht. Immer ist er freundlich. Seinen Zorn richtet er allein gegen sich selbst.

Der Tropf verschwindet und damit ein Teil der Hilflosigkeit. Er löst Kreuzworträtsel mit der linken Hand, fertig Zeichnungen und Skizzen, während sich auf dem Rolltisch Grußkarten und die klassischen Mitbringsel häufen. Consolatio delectat. Wir schöpfen vorsichtige Hoffnung, aber noch immer gibt es die Tiefschläge, wir leben in den Momenten zwischen Regression und blindem Aktionismus. Die Ungeduld wächst sich aus, nistet sich als Verspannung in Muskeln und Knochen ein.

Auf meinen Wunsch bin ich dabei, als der Verband gewechselt wird. Ich erfahre, dass ich nicht so hart im Nehmen bin, wie bisher angenommen und dass angenähte Gliedmaßen nicht unbedingt von Haut umgeben sein müssen. Meine Hoffnung kette ich an die Aussagen des Arztes, der den rohen, blutigen Klumpen als gelungen lobt. Meine Zuversicht ziehe ich aus dem Anblick der übrigen Finger. Stümpfe, ja. Aber er wird lernen, damit umzugehen, wie er es vor langer Zeit schon einmal gelernt hat. Jeder Besucher erzählt von jemandem, der Gliedmaßen verloren hat und heute wieder ganz normal arbeitet. Wir überlegen, ein Buch mit den schönsten Stumpfgeschichten zu veröffentlichen, aber es sind gerade diese Berichte, über deren Häufigkeit wir grinsen, die uns antreiben.

Einer der Sanitäter hatte einen verkürzten Ringfinger. Am Tag der Säge streckte er ihn meinem Mann entgegen und wies dann auf die verletzte Hand. „Das“, sagte er, „ist jetzt vorbei.“ Wenn eine Sache vorbei ist, kommt etwas anderes. Zwangsläufig. Es ist wie Trauer, wie Liebeskummer. Der unerträgliche Schmerz wird irgendwann dumpfer. Er ebbt ab, die Konzentration auf das, was fehlt, weicht der auf das Gegenwärtige. Bis man es irgendwann nicht mehr spürt und die Zeit davor Erinnerung ist, über die man ohne Schmerz sprechen kann. Ich freue mich drauf.

Dienstag, 16. April 2013

Dorfjugendtagebucheintrag / Denn es war Sommer






Frühsommerluft, Abendduft, hing schwer wie eine Symphonie auf der Schrebergartenkolonie, bevölkert von Blockwarten aller Arten, die im zarten und milden Sommerklima grillten während ihre Frauen chillten. Nicht weit entfernt, ich im Zwischenweg wo wir es zu tun pflegten, wenn die Triebe
uns trieben einander zu  lieben. Auch er war da, auf seiner Vespa, wunderbar und adrett. Seine Worte so viel mehr als nett, ward es mir warm von herbem Charme. In seinem Arm lag ich gut. Kein Mut
und kein Müssen, nach ein paar Küssen war die Begierde da, unzähmbar nah, als er auf die Knie sank, sich an mir betrank während ich in Lust versank, auf die Moral schiss und mich im Efeu verbiss, die Nägel in die Mauer krallte und mein Schrei im Nichts verhallte.In meinem Kopf uralte Lieder, die Luft duftete nach Flieder, Adams-Stokes-Syndrom, Pheromon und Palindrom. Mad mod, no condom? Dam! Also mit der Hand, er an der Wand und ich daneben, provozierte Erdbeben, o junges wildes Leben voller Pracht. Dachte auch der Betrachter der in seinem Garten stand, sich genüsslich wand bei der Aussicht. Doch ereilte ihn die Pflicht mit dem finstren Gesicht seiner Frau, der eine solche Sauerei nicht einerlei- sie war nämlich eher bieder- sondern ganz und gar widerlich aufstieß. Für ihn hieß es nun, den Helden zu zu spielen und zu melden, was er sah, was geschah so sonderbar und ganz und gar plötzlich erschien er: Ein erboster Staatsdiener und klagte uns lautstark an. „Guter Mann!“ lobte ärgerlich erregt die Öffentlichkeit. Jederzeit bereit, dem Unrecht pikiert, couragiert und vor allem ungebeten entgegen zu treten. Auf einen anderen Planeten wünschte ich mich schnell, während sich die Handschelle um mein linkes Handgelenk schloss und dann ergoss mein Freund sich klebrig warm in meiner Rechten. Und die Menschen, nicht die Schlechten, nein, die guten Gerechten applaudierten, salutierten dem angepissten Polizisten denn hier war kein Ort für Terroristen.


Veröffentlicht in der Anthologie "Lob der Jadeflöte"

Mittwoch, 3. April 2013

ises miez

 

 

ises miez spielt

ise: lieb, miez, lieb

ises miez lidkniept

ise: hihi

 

 

ise schippt kies

ise ißt bries

ise liest
ise: miez, miez

miez schlief

 



ises miez schnieft

ise: still, miez, still

ises miez piepst

ises miez niest

ise: fieses biest, iih