Montag, 10. November 2014

Lysanders Kern



Lysander wacht zur späten Stund'
Absinth im Kopf, die Finger wund
Vom Schreiben ohne Unterlass
Schreibt er von Liebe, schreibt von Hass
Er schreibt so viel, er schreibt so schnell
Grammatik schwach, Metaphern grell
Die Bilder müde und verbraucht
Das Versmaß traurig und geschlaucht
Er wühlt im Innern, sucht nach Tiefen
Talenten, die so lange schliefen
Er geht in sich, meditiert
Fuchtelt, fingert, masturbiert
Bewundert dann nach jedem Schuss
Den vor ihm liegenden Erguss
Er liebt sich sehr, er liest sich gern
Dies also ist Lysanders Kern

Montag, 20. Oktober 2014

Gebunden.

 
 
Ich las am Rechner
 so vor mich hin
Und nicht zu fluchen, 
das war mein Sinn

Im Mailfach sah ich
 die Nachricht stehn
Eifrig blinkend 
und gar nicht schön.

Ich wollte sie löschen, 
da fragte sie fein:
"Soll ich ungelesen
 verschwunden sein?"

Mit allen Anhängen
 grub ich sie aus.
Komm' heute nicht
 vor zehn nach Haus.

Nun sitz' ich hier
 am einsamen Ort.
Lektoriere den Scheiß
 und komm nie mehr fort.

Freitag, 17. Oktober 2014

La vie en pose




Wie schön dich hier zu sehen
Erwart' nicht allzuviel
Ich wollte gerade gehen
Gehört zu meinem Spiel

„Zuerst musst du mich finden“
Sag' ich mysteriös
Ich will mich ungern binden
Bin wild und kapriziös

Und schaust du zu begierig,
 Lösch' ich das Feuer fix
Ich bin so gerne schwierig
Denn sonst wär' ich ja nix

Bezeichne, dich zu locken,
Mich oft als kompliziert
Yeah, Babe, Neurosen rocken
Schön, wenn's dich irritiert

Ich flüst're von Bedenken
Verlusten und dem Ex
Um dich mal abzulenken
Ganz gerne auch beim Sex

Ich hab' so viele Träume
So Vieles was ich brauch'
Am meisten die Freiräume
Wie jetzt, DU träumst auch?


Beharre auf die Freiheit
Und mein' damit nicht dich
Es gibt in dieser Einheit
Ausschließlich uns und mich


Und wird’s für dich zu viel
Bleibt's für mich doch win-win
Beglück' mit noch mehr Spiel
Den nächsten Neubeginn

Montag, 18. August 2014

Damoklespfützen



Eine Reizwortgeschichte inspiriert von Westendstories




Zwischen durchgeweichten Keksen und Salzstangen finde ich im hintersten Küchenschrank einen Schokoriegel. Ich stecke ihn in meine Tasche und will zurück nach oben, als ich es höre. Etwas klopft gegen die Kellertür. Leise und monoton, aber mit nervenaufreibender Hartnäckigkeit. Die Flut hat den leeren Wäschekorb nach oben getragen und nun schwemmt sie ihn ins Wohnzimmer. Nach den Ratten, den Spinnen und dem Eichhörnchen, das uns beide überraschte, der letzte Flüchtling und ich trage ihn zu dir in den ersten Stock. Du hast viel in dieses Haus investiert. Genug Zeit, Schweiß und Blut, um es zu einem Teil von dir zu machen. Winzig, verschroben und uralt war es auf den ersten Blick meine Liebe, aber es wurde deine Leidenschaft. Nun liegt es im Sterben. Vorgestern gesellte sich Sturm zum Regen und deckte Teile des Daches ab. Jetzt kommt das Wasser nicht mehr nur von unten. Eimer, Töpfe, sogar Kaffeetassen stehen auf dem Speicher, um das Schlimmste hinauszuzögern. Mit dem Ausleeren wechseln wir uns ab, aber während der letzten Nachtschicht bist du eingeschlafen und obwohl ich unsere letzten trockenen Geschirrtücher benutzt habe, um das übergelaufene Wasser aufzuwischen, vergrößern sich die feuchten Kreise an unserer Schlafzimmerdecke weiter. Damoklespfützen. Nichts wird mehr richtig trocken, die Luft ist feucht und kühl. „Klamm ist das neue Schwarz“, lächelst du und reibst die wunden Stellen an meinen Füßen mit Salbe ein. Merkwürdig, dass etwas gleichzeitig nässen und brennen kann. Es war dumm von mir, ohne Socken in die Gummistiefel zu schlüpfen, aber du bist nicht wütend. Ich bin es ständig. Wütend auf das nie abbrechende Geräusch tropfenden Wassers, die wellige Tapetenabschlusskante, das schimmelnde Brot, am meisten aber über deine Entscheidung, hierzubleiben. Nicht zu gehen an dem Tag an dem der Supermarkt schloss und die meisten Bewohner dieses Ortes vor dem steigenden Wasser flohen. Jetzt ist es zu spät. Wir sind eingeschlossen, gefangen auf der kleiner werdenden Insel, gefangen mit dem Wasser, den Tieren und miteinander. Dir scheint es egal, du hast dich ergeben, ein Verhalten, das mir so fremd ist wie der Bart in deinem Gesicht. Leises Grollen, eine sanfte Erschütterung. Das Fundament ist durchgeweicht, nachgiebig. Putz rieselt auf uns herab bevor ein Riss in der Decke erscheint. Wir müssen das Schlafzimmer aufgeben. Du hast es vorausgesehen und alles Wertvolle ins Arbeitszimmer geschafft. Photoalben, Dokumente, die kleineren Möbel und meine Plattensammlung, alles thront auf dem hässlichen Zebrafell, das du von deinem Vater geerbt hast. Du kletterst aufs Dach, um den Schaden zu begutachten. Ich suche mir einen Platz zwischen dem Gerümpel und gehe die Platten durch. Cassandra Complex, die Pixies, die Ramones. Seit einer Woche haben wir keinen Strom mehr und mit den Batterien gehen wir sparsam um. Das Radio schalten wir zur vollen Stunde ein, noch immer hoffnungsfroh. Anfangs waren wir genervt von den immer gleichen Ansagen. Aufmunterungsversuche, Durchalteparolen, sinnlos. Seitdem nur noch Rauschen zu hören ist, sehne ich sie herbei. Auch mit den Kerzen müssen wir sparsam sein. Die Nächte ziehen sich. Schlafen fällt schwer, wir sind immer erschöpft aber niemals müde und es gibt nichts zu tun. Schweigen gräbt sich ein. Dazwischen halbherziges Ficken. Körper, Herz, Seele. Alles schwindet. Ich ziehe den Riegel aus meiner Tasche, weiß, dass ich ihn teilen sollte, aber sobald er ausgepackt ist vermag ich es nicht mehr. Ein Rumpeln, dann deine Stimme. Leise durch den Sturm, aber etwas macht sie laut und schrill. Ich liege auf dem Fell, der Geschmack der Schokolade ist überwältigend, die lange vergessene Süße nimmt einen Großteil meiner Wahrnehmung in Anspruch, sodass ich nicht bemerke, wie du verstummst.

Donnerstag, 31. Juli 2014

Felder und Schlachten






Originalfoto von Angelika Weis




Morgen: Ich bin zurückgekommen, um festzustellen, dass diese Stadt nur noch bei Nacht zumutbar ist. In der Sonne ist es unerträglich heiß, aber die Schattenplätze sind überfüllt. Ist der Himmel nicht grellweiß, kleidet er sich schwefelgelb und die Hitze wechselt von stechend zu drückend. Zu eng, zu laut, zu voll. Kleidung, die in krampfadriges Wadenfleisch schneidet und haarige Leberflecke präsentiert, über allem der Geruch von Schweiß, irgendwo zwischen Essig und Zwiebeln. Inmitten der hässlichen Menschen bin ich die Hässlichste. Der Pareo wirkt albern, ein hilfloser Versuch. Die gebräunte Haut meiner Beine glänzt jetzt billig und mein Gestank lässt mich würgen. Verzweifelt suche ich nach den Gefühlen der vergangenen Wochen. Leichtigkeit, Freiheit und Übermut, der unübertreffliche Cocktail aller Abschlussfahrten. Gierig hatte ich all die Eindrücke aufgesogen, auf jede erdenkliche Weise konserviert, bereits getrieben von der Angst, zu vergessen. Gegen Ende war da sogar ein Hauch von Sehnsucht nach der Stadt und dem Wiedersehen mit dem Menschen. Geblieben sind Abscheu und Furcht und letztere steigert sich, während ich durch das muffig riechende Treppenhaus nach oben gehe. Er weiß, dass ich zurück bin, beinahe pünktlich und dennoch muss ich mehrfach klingeln, bevor er mir öffnet. Innerhalb von zwei Wochen hat er aus der Wohnung ein Dreckloch gemacht und als ich die Rolläden hochkurbele um frische Luft herein zu lassen, sehe ich, dass er sich selbst als Inventar zu betrachten scheint. Der Sommer hat ihn nicht einmal gestreift, seine Haut ist bleich, trocken und um die Augen dunkel. Ich trete auf einen Joghurtbecher und sauer riechende Masse quillt auf die Bodendielen. Worte, die meisten davon grob und hässlich, bahnen sich ihren Weg. Jene Härte, hinter der ich Verzweiflung verberge, die mir das Gefühl gibt, stark und mutig zu sein. Sie prallt ab an seiner Schutzschicht aus Dreck, perlt von seinem fettigen Haar und zerplatzt an den abgekauten, zackigen Rändern der Fingernägel. Er zuckt die Achseln und breitet die Arme aus. Auf den ersten Blick hilflos und entschuldigend, tatsächlich aber eine Machtdemonstration. Narben - alt, jung, verblasst, erhaben, rot - allesamt überzeugender als meine Worte. „Du hast gefehlt.“ Ich bin zu angespannt, um nach Gründen zu fragen.

Mittag: Die Kochnische ist noch am saubersten, was er in den letzten beiden Wochen gegessen hat kann ich an den Resten und Verpackungen auf dem Boden erkennen. Später stehen drei volle Müllsäcke im Flur. Schweiß und Essigreiniger brennen in kleinen Schrammen, mein Körper fühlt sich so roh und wund an, dass ich mich nicht traue, die nassen Kleider auszuziehen, aus Angst ich könnte meine Haut mit abstreifen.
Noch immer rauscht die Dusche und ich versichere mir zum wiederholten Mal, dass er die Zeit jetzt braucht und ich den Aufprall hören würde. Zwischen den Polstern des Sofas finde ich ein Foto. Fast hätte ich es in die Schublade zu den anderen gelegt. Familienbilder. Er, seine Brüder. Die Gesichter seiner Eltern hat er entfernt, je nach Gemütslage sauber mit der Rasierklinge ausgeschnitten, an den heftigeren Tagen mit der Zigarettenspitze weggebrannt, gerissen, gebissen. Dieses Bild allerdings zeigt uns vor einem halben Jahr. An jenem ersten Abend. Das letzte Schulhalbjahr hatte begonnen, die Vergangenheit löste sich auf, während die Zukunft noch im Nebel lag.. Alles schmeckte fad, alles langweilte und zugleich war ich auf der Suche nach Halt. Er war da, auf einer jener Partys, die zu Finanzierungszwecken nun beinahe wöchentlich stattfanden. Inmitten der Menschen, die sich den Ausdruck gelangweilter Lässigkeit ins Gesicht zwangen, war er ein Lächeln, ein aufrichtiger Blick und ein Gespräch. Er war da, als Winterkälte aus Alleinsein Einsamkeit machte und etwas fehlte.

Abend: Seine hellen Augen sind klar und wach, meine Haut verschwitzt und schmutzig. Ich will nicht, dass er mich jetzt berührt, kralle die Fingernägel in die Handflächen, als er den Kopf in meinen Schoß legt und sein sauberes, feuchtes Haar auf die glühende Haut meines Oberschenkels fällt. Und doch ist es gut. Er besitzt eine Schönheit, deren Reiz ich mich nicht entziehen kann. Eine perfekte Hülle hinter der ein ebenso unwiderstehlicher Abgrund lauert. Ich habe ihn gesehen und man hat mich davor gewarnt. „Sei vorsichtig“, flüsterte mir sein Bruder zu, als er uns einander vorstellte, „er ist anders.“ Anders. An jenem Abend klang es wild, abenteuerlich und verlockend. Er kannte schöne und kluge Worte und besaß die Fähigkeit, sie mir zu widmen, wagte zu tanzen ohne zu trinken. Inertia creeps, You get what you give, Spanish Flea. Romeo und Perdita. Anders. Wie passend und schön es damals klang. Wie schmerzvoll, es neu zu definieren. „Du hast gefehlt.“ Ich bin zu müde und elend, um nach Gründen zu fragen.

Nacht: Er hat die Matratze auf den Balkon geschleift, weil er unter freiem Himmel schlafen will. Ich habe eine Brise erhofft, eine Abkühlung oder zumindest eine wahrnehmbare Temperaturveränderung, aber kein Luftzug wagt sich ins geschwürzerfessene Gedärm der Häuserschluchten. Noch immer ist es laut dort unten, man feiert die eigenen Abgründe, zeigt einander kichernd die vom Leben geschlagenen Wunden und verwechselt sie mit Erfahrung. Hier oben sitzen wir und versuchen, nicht zu verbluten. „Die Stadt frisst die Sterne.“ Er sitzt auf der Brüstung und starrt in den orangefarbenen Schimmer, hinter dem sich die Nacht verbirgt. Ich folge seinem Blick, finde den Schützen, beide Wagen und die elende Wega, aber keinen Trost. Sterne, Kometen, Leoniden. Am schönsten im freien Fall und sicherheitshalber umschlinge ich sein Bein. Zu dünn, aber er wartet nur darauf, dass ich etwas sage. Masochistische Vorfreude in seinen Augen und ein angriffslustiges Lächeln auf den schönen Lippen. Wenn ich mich auf Härte berufe, nutzt er seine analytischen Fähigkeiten, spürt Schwachpunkte zielgenau auf und weiß sie zu treffen. Wann immer Wut und Schmerz zu groß werden, schafft er sich ein neues Schlachtfeld, das seine volle Aufmerksamkeit fordert. Einen schuldbewussten Moment lang wünsche ich mir seine Verzweiflung zurück. Schweigend ziehe ich ihn zu mir auf die Matratze. Er lässt es zu, wird Marionette, Puppe, eine überwältigende und reglose Reliefkarte. Fasziniert streiche ich durch das nachtschwarze Haar, grabe die Zähne in die weiche Haut oberhalb seines Schlüsselbeins und kratze ihm Sternbilder in die Brust. Ich fürchte die messerscharfen Rippen und die Grate der Hüftknochen. Täler sind mir lieber und ich bin zu aufgeputscht und geil, um nach Gründen zu fragen.

Mitternacht: Es ist still geworden und die letzten Lichter sind erloschen. Über uns gibt sich die Nacht samtig und lässt den Sternen den Vortritt. Sein Gesicht ist friedlich, sticht mir ins Herz und in diesem ruhigen Moment ist mein Wunsch ihn zu retten selbstlos. Eine Zeit lang bleiben wir stumm, genießen die Hoffnung bevor wir sie gemeinsam zerstören. Ich mit meiner Frage nach den Gründen, er indem er mich mit seiner Antwort zurück in die Schlacht schickt:
„.Es ist furchtbar, mit mir allein zu sein.“


Inspiration:
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2
3

Dienstag, 15. Juli 2014

Angst






Manche sagen, ihre Zeit sei die Nacht, aber das sehe ich anders. Vielleicht bietet die Nacht mehr Möglichkeiten, erlaubt durch den Mangel an Reizen eine intensivere Beschäftigung mit ihr, aber präsent ist sie immer. Jetzt gerade nimmt sie zu, wartet nicht länger bis freie Momente zur Verfügung stehen, sondern stiehlt sie von meinem Alltag. Sie ist die Hand um meine Kehle, die Erhöhung der Stimmlage und das Herzrasen. Sie malt Trugbilder, verleiht der Realität Vielschichtigkeit und legt hässliche Masken auf die Gesichter der Menschen. Auch und gerade auf die derjenigen, die mir wohlgesonnen sind. In diesen Tagen macht es keinen Unterschied. Ich fürchte sie genug, um sie zu personifizieren, gliedere sie aus und merke dabei, dass es genau der falsche Weg ist. Also nenne ich sie Angst. Sie kommt von Innen, ist tonnenschweres Gewicht und nagender Zahn in meinen Eingeweiden. Dass ich so fühlen dürfe, ist ein gutgemeinter Rat, ich weiß um die Absicht dahinter und erkenne die Freundlichkeit dieser Worte an. Von Nutzen allerdings sind sie nicht. Letztlich ist es der Angst egal, ob ihre Existenz legitimiert wurde, sie ist einfach da. Und sie wächst, wächst sich aus zu etwas, das Fachnamen trägt und mich im Haus ankettet. Es wird schwieriger, den Körper vor die Tür zu zwingen und meist verlangt er dafür eine Belohnung in Form von Substanzen, die ihm nicht gut tun. Sie schmälern die Angst, aber töten das Ich. Das Ich. Und warum du überhaupt? Du wirkst immer so... . Genau. Vielmehr glaube ich sogar, dass jene Fassade der Mensch ist der ich sein kann. Könnte. Ohne die Angst und die vielen Mittel, die sie einen Moment lang beiseite zwingen. Woher kommt sie? Ist sie atavistisch, basiert sie auf einer Begebenheit? Tausend Antworten, für das Thema hat keine davon Relevanz, weil es egal ist, woraus sie resultiert. Wichtig ist, dass sie da ist. Vertraut, aber mit neuem Unterton, belastender und einschränkender denn je. Die Angst.

Dienstag, 4. März 2014

Mentalisierung/Fragmente





Originalfoto von Angelika Weis




Wir sind Schatten. Wir warten in jeder schlecht beleuchteten Straße, jedem uneinsehbaren Winkel. Wir lauern in den Sekunden, die zwischen dem Betreten eines dunklen Raums und dem Ertasten des Lichtschalters liegen. Du weißt, wie sich unser Atem in deinem Nacken anfühlt, aber du hast verlernt, ihn von einem Windhauch zu unterscheiden.

Die Brutalität mit der die Grenzen niedergerissen worden waren, verhieß einen Strom, aber der Wahnsinn war ein Rinnsal. Es sickerte durch die Schichten der Realität, versetzte dem Bewusstsein unregelmäßige Impulse und zwang es zurück in den Körper.

Wir sind Schmerz. Das Knirschen deiner Wirbelsäule auf dem Mahagonischreibtisch. Das glühende
Ende der Zigarette auf deiner Haut und das Knacken deines Nasenbeins. Das Messer in deinen Eingeweiden, das Stechen und Reißen.

„Viel sieht man nicht. Wie lange ist das her?“
„14 Tage.“
„Sie hätten früher kommen müssen. Jetzt kann man nichts mehr machen. Wie ist das denn passiert?“
Er war ziemlich betrunken und auch etwas abgelenkt, weil einer der anderen einen Witz gemacht hatte und als er aufstehen wollte, hat er sich versehentlich in meinem Gesicht abgestützt.
„Beim Skaten gegen ein Schild gefahren.“
„Oh. Sie haben aber gefährliche Hobbies. Das nächste Mal dann etwas vorsichtiger, ja?“
Ja. Das nächste Mal dann.
„Ich sehe da derzeit keine Schwierigkeiten, was das Atmen angeht.“
Ich auch nicht, es ist unmöglich.
„Bliebe der kosmetische Aspekt.“
Unvermittelt zieht er einen Spiegel hervor und ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu schreien.
„Wie gesagt, man sieht es kaum, eine leichte Asymmetrie, sie fällt gar nicht auf.“
Nein, angesichts der allgemeinen Schräglage kann man das wirklich nicht behaupten.
„Wenn Sie mich fragen, steht einer Modelkarriere nichts im Wege.“
Er lacht freundlich und ich lache zurück, bis ich den Anblick seiner weißen Zähne nicht mehr ertrage und wegsehe. Hinter dem Schreibtisch materialisieren sich die Schatten.

Wir sind die Lüge. Das Zähnefletschen hinter deinem Lächeln und das Zucken deiner Lider, wenn Freunde sich nach deinem Befinden erkundigen.

Seine Augen sind unversehrt, helle Projektoren und das Wissen darin unauslöschbar. Das umliegende Gesicht trägt Kampfspuren. Beim Versuch sie beiseite zu wischen verliere ich zwei Finger und er eine fragend gehobene Braue. Noch immer glaubt er daran, dass man alles hinter sich lassen kann, wenn man nur schnell genug läuft. Der Läufer hält meine Hand fest umklammert, Hoffnung trägt ihn und atemlos flüstert er von Liebe. Ich taumele hinterher, stolpere über seine unbeholfene Fürsorge und zerschelle an seinem Mitleid.

Wir sind der Hass, die zerstörerische Kraft hinter deiner Ohnmacht. Jedes grausame Wort, das du den Deinen entgegen schleuderst. Wir sind bei dir, wenn du durch die düsteren Ecken der Stadt ziehst, ein Streuner auf der Suche nach einer Gelegenheit. Wir sind der Triumph, der deinen Treffern innewohnt und die nachtschwarze Befriedigung über jeden Schlag den du einstecken musst.

Die Monster haben ihren Platz unter dem Bett schon lange verlassen. Auch auf die Nacht sind sie nicht mehr angewiesen. An den guten Tagen gelingt es mir, sie zu ertränken. An den schlechten nicht.

Wir sind die Angst. Das unkontrollierbare Zittern, die Panik, die nach Patchouli, Schweiß und Blut stinkt. Wir sind die brüchige Stimme der Unsicherheit, wann immer du mit einem Fremden allein bist.

Ich siege nicht. Ich beuge mich der Vergangenheit, schreibe die Gesetze des Erträglichen neu und warte, ob mir das Überleben vergönnt ist. Manchmal sieht es gut aus. Heute nicht.

Wir sind Schatten. Wir warten in jeder schlecht beleuchteten Straße, jedem uneinsehbaren Winkel. Wir lauern in den Sekunden, die zwischen dem Betreten eines dunklen Raums und dem Ertasten des Lichtschalters liegen. Du weißt, wie sich unser Atem in deinem Nacken anfühlt, aber du hast verlernt, ihn von einem Lufthauch zu unterscheiden. Wir sind da und wir werden bleiben. Lass uns spielen!

Keine Lust.

Hast du Angst? Du wirkst eingeschüchtert.

Das täuscht. Ich bin müde.




Samstag, 25. Januar 2014

...in a heartbeat






Nun, da die Orkane über das Land toben wie der Wahnsinn durch die Städte und die letzten Tage an Fingern zählbar sind, flüsterst du lange vergessene Gebete in den roten Himmel. Sicherheitshalber variierst du nicht nur Sprache und Intonation, sondern auch die Adressaten und wenngleich du ahnst, dass außer mir keiner mehr lauscht, ist mein Name der letzte auf deiner Liste.
Deine Stimme umspielt die Silben so seidig wie das dünne Gewand deinen Körper. Ich weiß, wie glatt deine Haut darunter ist, schweißfeucht von der Glut die jetzt mit dem Nachtwind zieht. Duftend und geschmeidig lockst du in der Finsternis, öffnest die Arme dem Sturm und hinter geschlossenen Lidern gewinnt dein Blick an Intensität.
Und doch warst du am schönsten, wenn ich dich von den Schlachtfeldern dieser Welt schleifte. Zerschunden und erschöpft, aber von deinen aufgerissenen Lippen perlten die weisen Worte der Grenzgänger. Todesnah warst du mir ebenbürtig. Der Zauber verflog, sobald dein Bewusstsein wieder einsetzte. Immer wolltest du die stumpfe Nadel und das gröbste Garn. Manchmal hielt ich dich zurück, wenn deine Finger an den frischen Nähten zerrten, manchmal war ich zu müde. Ohnehin fand der Morgen dich stets unversehrt und makellos.
Nun wirfst du dich auf die Knie, weinst um die verlorenen Narben und bist bereit, im Tausch gegen eine einzige Erinnerung deine Seele zu verscherbeln. Geister, Dämonen, Dunkelheit. So viele Titel hast du mir verliehen, mich in die Kostüme deiner Launen gesteckt, doch wenn das Ende kommt werde ich dir nackt und namenlos gegenübertreten.

Dienstag, 14. Januar 2014

WOLLEN








Es ist wie der zu lange Blick in den Spiegel oder das Wiederholen des eigenen Namens. Wenn mir Bekanntes fremd wird, weil sich die Perspektive ändert.
Meine Art der Einsamkeit ist weder selbst gewählt, noch belastend. Viel mehr macht sie mich frei. Ich habe keine Ziele, die ich nicht ohne jemanden an meiner Seite erreichen könnte. Und während ich meinem selbstbewussten Spiegelbild bewundernd zulächle, schleicht sich Bekanntes auf fremdem Weg in mein Leben, um dort vertraut zu werden.
Die Stadt ist müde. Unsicher in ihren Bedürfnissen, fällt sie an einem Tag in weißen Schlaf, um am Nächsten in grauen Fluten zu versinken. Ich lasse zu, dass sie mich mit nach unten zieht, gehe auf in der Masse, werde Herzschlag und Atem. Niemanden stört es, wenn ein Hauch im Nacken meine Hände nach unten oder mich ab und an auf die Jagd lenkt. Ich brauche niemanden, der mich auf ein Podest hebt und Einzigartigkeit vortäuscht.
Glatte Charaktere sind Projektionsflächen für zum Scheitern verurteilte Träume. Ihre schemenhafte Existenz ist zugleich Mittel, Gefühle am Wachsen zu hindern und ich umschiffe Kanten. Unerwartet kalt hält der November Einzug. Wir treffen einander unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen.
Mitternacht ist die Zeit der Wölfe. Pechschwarz gleiten sie durch die schmalen Straßen, ein anmutiger Kontrast zum verschlingenden Weiß. Wir kennen einander und meiden Kreuzungen. Einzig einige unerfahrene Jungtiere halten schnüffelnd inne, um kurz darauf mit einem winselnden Heulen dem Rudel zu folgen. Ich bin kein Opfer. Ich trage Messer auf Zunge, Herz und Seele.
Die Dunkelheit nimmt zu. Im Endeffekt ist es nur eine Frage verschwendeter Energie, ob ich mich zappelnd dagegen wehre oder mich kampflos ergebe und sanft hinein gleiten lasse. In der Finsternis stolpere ich über die leblosen Körper gescheiterter Lichtträger, deren Frustration die Schwärze noch undurchdringlicher macht. Panik hilft nichts. Atmen, weiter atmen, weil ich weiß, dass es nicht von Dauer ist.
Irgendwann hat das Leben bei jedem zugebissen, seine Nägel in hilfloses Fleisch geschlagen und Dramen auf die Haut Liebender geschrieben.Ich habe keine Illusionen. Nur einen Idealismus, der mich immer wieder zurück aufs Schlachtfeld treibt.
Und während ich verheilte Narben begutachtete, schlichst du auf unbekannten Wegen in mein Herz und machtest dich vertraut. Ich trage deinen Namen wie eine Pektorale und nicht wie einen Schild. Ich lasse mich jagen und mit einem Lächeln erlegen. Ich lasse mich entwaffnen und lehre dich das Schwimmen in der Finsternis.
Nicht, weil ich jemanden bräuchte.