Montag, 18. März 2013

Eigentlich schon. Aber nicht um jeden Preis.




„Und, wann ist es bei euch so weit?“


Ich könnte mich dumm stellen und fragen, was „es“ bedeutet. Aber ihr Blick liegt auf den Kindern, die ein Stück weiter quietschend auf der Rutsche toben und ihre Hand auf dem sich rundenden Bauch. Offenbar erlauben mein Alter und die Dauer meiner Beziehung diese Frage, machen die Indiskretion dieses, wenn überhaupt, eher dem nahen Umfeld vorbehaltenen Vortastens in meine Privatsphäre, zunichte.

„Nie.“
Es folgt ein vielfach interpretierbarer Blick und die Frage nach dem Warum. Die gleiche Frage von meiner Seite würde wohl Empörung hervor rufen. Schade, dass sie in diese Richtung immer noch Norm ist. Ärgerlich, dass es immer noch Erklärungen, wenn nicht Rechtfertigungen bedarf, wenn ein simples „Weil ich nicht will.“ doch eigentlich Antwort genug ist. Lange Zeit habe ich in diesen Gesprächen die Argumente der gewollt Kinderlosen verwendet. Sie sind für mich ebenso logisch und nachvollziehbar, wie die derjenigen, die Kinder in die Welt setzen. Dass sie trotzdem häufig zu Diskussionen oder Streit führen, sogar in der Lage sind, eine Gesellschaft zu spalten, liegt nicht selten daran, dass Lebensmodelle, die vom eigenen abweichen, oft als Kritik oder Angriff auf selbiges gewertet werden. In diesem Falle auch gerne beiderseits.

Mittlerweile greife ich nicht mehr auf diese Argumente zurück, denn sie sind zwar Bestandteil meiner Leben - und - Leben - lassen – Welt, für mich persönlich aber nur geliehen. Tatsächlich möchte ich gerne Kinder haben. In meinem Kopf gibt es ganze Photoalben von mir in Eltern - Kind-Situationen. Neben anderen Wunschvorstellungen. Ich, positioniert auf Bestsellerlisten oder unter Norman Reedus, „Zeug' ma!“, beispielsweise. Für all das gilt aber:

„Ist nicht drin.“


Jetzt wird ihr Blick weich. Wieder die Frage nach dem warum, diesmal ohne Angriffsbereitschaft in der Stimme. PCOS. Auf einem Ultraschallbild sieht mein Unterleib aus wie das Miniaturmodell eines Sonnensystems. Als ich zwanzig war, erklärte mir meine Frauenärztin, was das alles zu bedeuten habe und nannte mir im nächsten Moment freudestrahlend Mittel und Wege, wie ich trotzdem schwanger werden könne. Ich bedankte mich artig, ging nach Hause und suchte im Telefonbuch nach einem neuen Arzt. Enttäuscht und zornig, nicht über die Diagnose, sondern viel mehr über die Tatsache, dass die Ärztin automatisch davon ausging, dass diese für mich den Zusammenbruch einer Welt bedeuten würde.    




Ich schweige, sie redet. Von Bekannten, die das gleiche Problem hatten und bei denen es dann doch klappte. Von den medizinischen Möglichkeiten. Sie möchte nur helfen und optimistisch stimmen, das ist in Ordnung. Tatsächlich habe ich mich nicht über sämtliche Möglichkeiten informiert. Ich bin kein Anhänger jener Philosophie, die besagt, dass sich die Natur schon irgendetwas dabei gedacht hat. Es gibt den medizinischen Fortschritt und ihn nicht zu nutzen, wenn man darauf angewiesen ist, wäre dumm. Tatsächlich kenne ich Paare, die lässig genug sind, sich von Hormonspritzen und Sex nach Terminplan nicht in ihrer Lust stören lassen. Ich kenne aber auch andere, die an ihrer verbissenen Verzweiflung zerbrochen sind. Oder jene, die lange und zermürbend auf eine Schwangerschaft hingearbeitet haben und nachdem sie erfolgreich waren erkannten, dass es nicht das war, was sie wollten. Das wünsche ich mir weder für mich, noch für meinen Mann. Hochzeit. Kind. Trennung. Die ersten beiden Ideen sind hübsch und die letzte häufig unausweichlich, aber der Gedanke, dass eine Beziehung nicht einfach um ihrer selbst Willen funktionieren kann, sondern auf irgendetwas hin laufen muss, widerstrebt mir.

Sie fragt, wie mein Freund das sieht. Wieder ärgerlich. Falls wir diese Meinung nicht teilten, wäre er nicht mehr bei mir. Ein Kinderwunsch und dessen Realisierbarkeit gehört nicht zu den Themen, bei denen Kompromisse möglich sind. Ich erinnere mich auch an das Gespräch mit meinen Eltern, die erstaunt erklärten, dass sie niemals einen bestimmten Lebensweg für mich vorgesehen hatten und deswegen auch nicht enttäuscht sein könnten.

Mein Umfeld wächst. Räumlich, aber auch, was die Einstellung angeht. Ein Arzt, der versteht, dass es mich mehr nervt, mein Kinn gelegentlich mit der Pinzette bearbeiten zu müssen, als unfruchtbar zu sein. Freunde und Familie, die nicht über Entscheidungen, die andere für ihr Leben treffen, urteilen. Ich empfinde keine Befremdung gegenüber Schwangeren, freue mich mit ihnen über Ultraschallbilder, lausche Berichten und bin fasziniert von Babybäuchen und der Tatsache, dass deren Bewohner begeistert zurück boxen, wenn man sie anstupst. Kinder mögen mich, ich bin nicht aufdringlich, fordere keine Nähe, sodass sie häufig von sich aus zu mir kommen. Diese Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen und habe Spaß dabei. Ich helfe meinem Freund bei der Zusammenstellung eines Geschenkpakets für sein Patenkind in Dänemark. Es ist schön zu sehen, wie gut er mit Kindern umgehen kann, beneide ihn um seine Geduld, mit der er Dinge erklärt. Ohne Wehmut. Seit zwei Jahren bin ich selbst Patin und lasse mir von J. einiges beibringen. Unbefangenheit, beispielsweise. Ich verliere die Paranoia, vermeintliche mitleidige Blicke der Eltern im Rücken zu spüren oder die Idee, dass meine Gereiztheit gegenüber nervigem Verhalten Neid entspringt.

„Vielleicht bereust du deine Einstellung eines Tages."
"Möglich. Aber getroffene Entscheidungen bereuen ist nicht so mein Ding."
Ich verabschiede mich von der Bekannten in der vagen Hoffnung, dass sie die Möglichkeit der friedlichen Koexistenz verschiedener Lebensmodelle zumindest begriffen hat und künftig auf Wertung und vor allem auf Mitleid verzichtet.

Denn Mitleid möchte ich nicht, nur Verständnis dafür, dass ich nicht leide.

Mittwoch, 13. März 2013

Am See






Jetzt ist der See nicht mehr als ein schwarzes Loch. Die Natur hat ihn sich zurück erobert. Wildes Gestrüpp wuchert an beiden Seiten und die Planken des Stegs sind graugrün, totes Holz und Moos.
Das Mädchen im gelben Mantel passt nicht ins Bild. Verloren und gleichzeitig anziehend, wie eine Rettungsboje, sticht sie aus der kahlen Landschaft. Ihr Name ist Marie und man weiß, dass sie zu jenen gehört, die es schaffen können. Das Dieter Bohlen Syndrom, nicht begabt, aber fleißig. Dunkles Haar fällt über dunkle Augen, ein helles, offenes Gesicht: jene Art bescheidene Schönheit, die man hin nimmt ohne dahinter blicken zu wollen. Einzig ihre Einsamkeit, die Art und Weise, wie sie in den dunklen See starrt, vermitteln eine Tiefe, die sie nicht besitzt.
Im Sommer vor drei Jahren waren die Menschen an den See zurück gekehrt. Ein kurzes Wiedersehen. Der Sohn von Maries Nachbarn, damals sieben oder acht Jahre alt, hatte beim Schwimmen einen epileptischen Anfall und wäre fast ertrunken. Zum Glück sah ihn jemand untergehen und man zog ihn rechtzeitig aus dem Wasser. Marie war nicht dabei, nie im Leben wäre sie in das schwarze Wasser gestiegen, sie weiß, was einsam in den Tiefen schläft. Alte Albträume sterben nicht. Das Kind soll hysterisch geschrien haben und nicht zu beruhigen gewesen sein. Noch eine Woche später zeichneten sich blaue Flecken um seinen Knöchel ab. Marie hat sie gesehen. Fingerabdrücke einer Hand, die zupackt, umklammert, nach unten zerrt… .
Marie schüttelt die Gedanken ab. Sie ist nicht seicht genug, um keine Geheimnisse zu haben. Warmes Leben, helle Antithese zu der Finsternis im See, schläft im Ozean zwischen ihren Hüften. Schläft und wächst. Vor fünf Monaten ist es entstanden, vor vier Monaten hat sie es bemerkt und vor drei Monaten rettete sie es, indem sie gegen die Abmachung verstieß und kurz vor dem Termin aus dem kalten weißen Zimmer floh. Seitdem ist es schwer geworden, in ihrem Körper, noch mehr aber in ihrem Kopf. Ein Mädchen mit Lars hellem Haar und ihren braunen Augen.
Er wollte es nicht, aber er war ängstlich damals, verunsichert und daher rührten all die schlimmen Worte, die er sagte. Heute wird Marie ihn umstimmen. Es wird klappen. Sie hat alles genau durch geplant. Schön sieht es in ihrem Kopf aus. Eine warme, bunte Zukunft.
Schritte. Marie dreht sich um und er steht vor ihr, groß, breitschultrig, lächelnd. Sie mag es, wie sich seine Hand auf ihren Hintern legt, wenn er sie zur Begrüßung küsst. Lars. Etwas verwundert ist er über den Treffpunkt, aber Marie nimmt seine Hand, wandert mit ihm um den See und redet. All die Worte die so schwer auf ihr lasteten, perlen leicht über ihre Lippen, das Geheimnis, das einer Lüge nahe kommt, wird an der Luft schwerelos. Maries Herz füllt sich mit Wärme, denn Lars lässt ihre Hand nicht los, lauscht ihrem Geständnis stumm, lächelt sanft und schließt sie dann fest in die Arme.


Ein schönes Bild bieten sie, wie sie da stehen, am Ende des Stegs, eng umschlungen und mit dem Blick in die Zukunft, und es ist nur dieser kleine Stoß, der das Bild zerstört. Ein kleiner Stoß von einer starken Hand, der Marie aus der Wintersonne in das dunkle Wasser befördert, wo Februarkälte nach ihr beißt und brutal den Atem aus ihren entsetzten Lungen presst. Marie kämpft, aber der gelbe Mantel saugt sich voll, unzählige Hände ziehen sie in die Tiefe. Himmel und Erde stehen Kopf und nur verschwommen erkennt sie Lars Gesicht, weit über ihr und weiß trotzdem, dass er noch immer lächelt. Und als Marie aufgibt, sich dem Unausweichlichen fügt und zum ersten Mal in ihrem kurzen Leben der Tiefe nachgibt, ist da ein anderes Gesicht, das aus der Schwärze langsam zu ihr empor steigt, ein anderes, vertrautes Lächeln und ein Körper, der sie in eine letzte, bittere Umarmung zieht.