Noch waren die Tage lang. Der Mais
war so golden, dass die Kinder gar nicht anders konnten, als hinein
zu laufen. Hindurch, tiefer zwischen die Pflanzen, die sie so
angenehm überragten. Es war ein albernes Spiel und sie spielten es
immer, wenn ihnen nichts besseres einfiel, aber es verlor nie seinen
Reiz. Das Herzklopfen, wenn sie, ein jeder für sich allein, durch
die Reihen gingen, neben ihnen ein Rascheln, das alles Mögliche sein
konnte. Die Nervosität, die durch ihre Körper wanderte, eine
Mischung aus der Furcht, vom Bauern entdeckt zu werden und
irrationaler, Angst. Schließlich die wilde, köstliche Panik, wenn
sie sich umwandten und in kichernder Hysterie aus dem Mais jagten.
Der Junge lässt sich in der Mitte des
Sees auf dem Rücken treiben. Sein Name ist Finn, aber er wird so
selten gerufen, dass er ihm fremd scheint. Er nutzt ruhige Momente
wie diesen, um ihn vor sich hin zu flüstern. Finn. Finn. Er wirkt
entspannt, ist aber wachsam, immer wieder gleitet sein Blick am Ufer
entlang, bis er auf das Gesicht des Wanderers trifft. Ein
entwarnendes Lächeln liegt darin, keine Gefahr in Sicht und der
Junge verwandelt sich in planschende Arme, prustendes Lachen und
strahlende Augen. Bevor ihn die Szene berühren kann, holt der
Wanderer Spiegel und Rasiermesser aus seinem Rucksack. Achtsam schabt
er den sandfarbenen Bart von seiner Haut und legt unerwartete
Unschuld frei. Vor Kurzem ist er zwanzig Jahre alt geworden, ohne es
zu bemerken. Er hat seinen Geburtstag vergessen, wie er so Vieles
vergessen hat, was ihm in den langen Tagen wichtig war.
Als die Kinder durch das Getreide
tobten, öffnete etwas, das tief im Inneren des Feldes schlief, ein
blutunterlaufenes Auge. Die Haut seines eingefallenen Gesichts
glänzte blauschwarz, als es den Kopf hob und in die Luft des
Sommertages witterte. Fleisch, zart, jung und verlockend süß, aber
der Wind befahl Geduld. Er flüsterte von Kommenden und was er
versprach, gefiel. Der letzte Morgen würde allzu bald dämmern und
in der ewigen Nacht würde es sich erheben, um wieder zwischen den
Reihen zu gehen. Dieses Mal vielleicht sogar dahinter.
Im See ist es ruhig geworden und der
Wanderer blickt auf. Der Junge steht nicht weit weg, ganz still
im knietiefen Wasser und starrt
konzentriert nach unten. Noch haben sie ausreichend Vorräte und sind
nicht auf den Fisch angewiesen. Der Wanderer hat Finn gelehrt, wie
man mit bloßen Händen fischt und jagt, wie man Fallen stellt und
essbare Pflanzen von giftigen unterschiedet. Auch das Schwimmen hat
er ihm beigebracht, überrascht vom Anblick des Jungen, der ihm
hundegleich paddelnd und verzweifelt nach Luft schnappend folgte, als
sie erstmals gemeinsam einen Fluss durchquerten. Er hat ihn gelehrt,
in der Wildnis zu überleben und noch während er das denkt, schiebt
sich dem Wanderer das Bild des Generals vor Augen, spürt er den
Lufthauch des Gürtels neben dem Ohr und den rauen Teppich unter den
Knien. Ich bin nicht so, versichert er dem Schatten der Bäume und
zwingt seine Aufmerksamkeit zurück in die Gegenwart.
Im Maisfeld
starb die Frau schon viel zu lange. Ihr Gesicht war bereits blau,
aber ihre Stimme laut und klar, als sie dem Wanderer so viele
Geheimnisse zurief, dass er näher kam. Sein Mund war schmal und
hart wie seine Augen, aber der Frau zerrann mit ihren Gedärmen die
Zeit und so oder so hätte sie keine Wahl gehabt. Der
Flüssigkeitsverlust hatte ihre Lippen zurück gezogen und als sie
den Fremden anbettelte, beschwor und bestach, lag ein wölfisches
Grinsen auf ihren Lippen.
Jetzt reißt der Junge die Arme aus dem
Wasser, einen zappelnden Fisch in den Händen, legt den Kopf in den
Nacken und stößt einen leisen, aber triumphierenden Schrei aus. Als
er aus dem Wasser steigt, präsentiert er dem Wanderer seinen Fang.
Eine glänzend bronzefarbene Brasse, die noch nicht versteht, wie ihr
geschieht und ebenso panisch wie vergeblich um Atem ringt. Der Junge
schlägt den Kopf des Tiers auf einen Stein, bis es aufhört zu
zappeln. Ein Teil des Lächelns ist aus seinem Gesicht gewichen und
ein weiterer folgt, als der Wanderer ihm das Messer reicht. Finn
nickt ergeben und seine Hände zittern nicht, als er sich über den
Fisch beugt.
Als sich der Himmel rot färbte und
Feuer erbrach, besannen sich die Menschen ihrer letzten Gottheit. Im
Feld erhob sich die Kornmuhme und breitete die Arme aus für all jene
Kinder, die nun taumelnd, schleppend und zuletzt kriechend in den
Feldern Zuflucht suchten. Sie erinnerten sich ihrer elementarsten
Gebete und flüsterten sie, baten um Rettung, Vergebung und am Ende,
als ihnen die enorme Hitze das Fleisch von den Lippen sengte, nur
noch um Erlösung. Die Kornmuhme zehrte von ihrem Schmerz, ballte die
erstarkende Faust und flüsterte Flüche in den Wind, auf dass er sie
zu jenen trug, die noch glaubten.
Finn sieht aus, als
hätte der Fisch ihn ausgenommen und nicht umgekehrt. Rot tropft es
von seinen Händen, vermischt sich auf den Unterarmen mit Wasser und
läuft ihm als blassrosa Rinnsal über die Beine. Er geht einige
Schritte in den See hinein, um sich zu reinigen und kehrt dann an
seinen Posten zurück. Sie haben die Rollen getauscht und nun ist er
es, der am Ufer Wache hält, während der Wanderer seine Bahnen
zieht. Schnell und gerade kraftvoll genug, um die Anstrengung in den
Gliedern zu spüren, ohne sich dabei zu verausgaben. Wie er selbst
kreisen auch seine Gedanken.
Er denkt an die Amsel, die er gefunden
hatte, als die Tage noch lang und sein Name Maxim war. Ob sie das
Opfer einer Katze geworden oder gegen eine Scheibe geflogen war,
wusste er nicht, als er das Tier von der Straße hob und nach Hause
trug, um es seiner Mutter zu zeigen. Der Kopf des Vogels war seltsam
abgeknickt und als Maxim ihn auf den Küchentisch legte, begann er
mit einem Flügel zu schlagen. Der andere bewegte sich nicht, sodass
die Amsel hektisch auf dem Tisch rotierte und der kleine Schnabel
öffnete und schloss sich, ohne dass ein Laut heraus drang. Maxims
Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn aus dem Zimmer
geschickt, aber er hatte dabei sein wollen. Er erinnerte sich an das
glänzend schwarze Gefieder im Nacken des Tieres, kurz bevor sich die
Finger seiner Mutter darum legten, sich leicht und schnell drehten
und das Genick der Amsel brachen. Als sie den Vogel gemeinsam
begruben, weinte er und die Mutter erklärte ihm, dass sie der Amsel
großes Leid und viele Schmerzen erspart hatten. Sie strich ihm
durchs Haar und flüsterte, dass es so besser sei.
Dem Feuerregen
folgten Finsternis und Kälte und die Saat lag brach im ewigen
Winter. Ihres Reiches beraubt durchstreifte die Kornmuhme die Nacht
und fand eine neue Heimat in den Träumen der letzten Menschen. Sie
ist es, die schwarzlippig in die Dunkelheit flüstert. "Komm zu mir,
nur ein Weilchen, mein Kind. Leg' deinen schweren Kopf in
meinen Schoß und schlaf'. Bleib' solange du willst, eine Stunde,
einen Tag oder für die Ewigkeit. Letztlich ist es egal, denn du
weißt, dass es so besser ist"
Der Wanderer holt tief Luft und
durchquert die Hälfte des Sees tauchend. Als er aus dem Wasser
steigt, hat der Junge bereits ein Feuer entzündet. In einer
niedrigen Grube, wie der Wanderer es ihm beigebracht hat. Sein Lob
lässt Finns Augen strahlen und Maxim erwidert das Lächeln des
Jungen, bemüht, nicht auf dessen Hals zu blicken, auf dem das
feuchte Haar schwarz glänzend und allzu vertraut klebt.