Wenn sich die
Furcht in den Nächten auswächst und das Lied der fahlen Sirene ihn
aus dem Schlaf reißt, wird er zum Wanderer. Stunde um Stunde
patrouilliert er zwischen dem Zimmer des Kindes und dem der Frau,
züchtet Falten, für die sein Gesicht zu jung ist und flüstert
Schwüre ins Dunkel.
Die Worte sind alt
und verkrustet. Drei an der Zahl, hastig und notgeil von so vielen
Mündern gestöhnt, dass ihr Wert gegen Null geht, aber in ihm sind
gewichtig und klammern sich aneinander. Lange Zeit zu schwer, um sich
zu lösen, zu groß, drängen sie nun nach oben, pressen sich von
Innen an seine schmale Lippen. Präteritum bedeutet immer auch
Konjunktiv. Als die Gesetze des Erträglichen noch ungebrochen waren,
trug sie Feuer im Haar und das Erbe des Spätsommers auf der Haut. In
unbeobachteten Momenten galt ihr Lächeln ihm, aber es war die Zeit
des Königs und er nicht mehr, als der Barbierjunge, der mit
zitternden Händen seinen Schrei vergrub. In den guten Träumen
schläft sie in diesem Loch, bedeckt von schützender Muttererde, von
der Wärme seiner Worte zehrend, bis der Frühling wiederkehrt. In
seinen Albträumen liegt sie schon lange genug im seichten
Uferwasser, um Benn ein paar Zeilen zu entlocken. Das Schilf hat
ihren Körper durchbohrt, aber noch immer bläht Atem ihre Lungen und
entweicht ihnen als grässliches Lied.
Ihr Feuer
verschwand mit dem Oktober, in der Nacht der Toten. Die Schreie
hatten einen anderen Rhythmus, als seine Fäuste, die sich an der
verriegelten Tür blutig flehten. Die Große Septime, crescendo,
staccato, formido. Lektionen in Wahnsinn, seine Lektionen,
niedergeschrieben auf ihrem zerrissenen Körper. Rache, Lust und
Blow, los gelassen, um das Lächeln eines träumenden Jungen zu
zerschmettern.
Er mied den Blick
in ihre Augen, in deren Netzhaut sich die Bilder tätowiert hatten.
Hadern, Bitten, Flehen, aber das Schicksal war taub und er tauschte
Verzweiflung gegen Hass, Blut gegen Blut und Chancen gegen zwei
Schleifsteine, die in einer Ginflasche versanken. Nach dem Feuer
schwand ihre Farbe, sie krankte an Erinnerungen, bis sie am letzten
Tag grau zwischen seinen Händen zerrann.
Gewohnheit hat dem
bitteren Geschmack der Schuld eine unwiderstehliche Süße hinzu
gefügt. Seine Bürde trägt er so sanft wie das Kind, wenn es nicht
einschlafen will. Die Angst vor dem Verlust ist größer, als der
Schmerz und lauter als der Verstand, der verzweifelt um die Oberhand
kämpft. Was gewinnt, ist der Herzschlag des Kindes. Laut, konstant
und von eisernem Willen. Und so legt er das Kissen beiseite und sich
selbst zur Ruhe und es wird still im Haus. Für diese Nacht.