Freitag, 7. Juni 2013

Im Mais



Und Nina und Nina und Nina...

 






In jenem Sommer war die Haut meiner Beine so trocken und rissig wie der sonnenverbrannte Boden. Der Junge, dessen Namen die Zeit verschluckt hat, lag neben mir. Nicht weit weg schlief das Mädchen schon lange genug, dass der diensthabende Kommissar später sein Frühstück im Gebüsch lassen würde. Ich hatte immer geglaubt, meine Unschuld eines Tages hinter der Grillhütte zu verlieren, wo die Älteren am Wochenende abhingen und benutzte Kondome sich mit leeren Flaschen auf einem ansehnlichen Hügel türmten. Nina, flüsterte der Junge und anders als vor vier Tagen roch sein Atem nicht nach Gin und ich hasste es trotzdem. Dieses Mal waren wir unter freiem Himmel und nicht in der Scheune seiner Eltern. Kein Blutfleck in der Unterhose, kein Schmerz und auch keine Freude. Meine Entjungferung war ein mechanischer Vorgang gewesen. Rein raus, und ich hatte nichts gespürt. Nur die neugierigen Blicke der Zwergkaninchen, die uns bei unserem seltsamen Treiben beobachtet hatten.
Nina. Wieder sein Flüstern, als seine Hand unter meinen Rock glitt. Nina. Es war nicht sein Fehler, er war neu hier und wir hatten uns ähnlich gesehen. Zwergkaninchen, Brachylagus Idahoensis. Der Gedanke an ihre starren Augen, die widerliche Bewegung ihrer Münder. Ninas Mund hatte auf meinem gelegen. Wir hatten uns geküsst, damit er auf uns aufmerksam wurde. Ich war die Glückliche gewesen. Ich hatte mit ihm in die Scheune gehen dürfen. Der frühere Besitzer, Herr Knock, hatte Meerschweinchen gezüchtet. Als Kinder waren wir oft dort gewesen. Nina und ich und viele andere. Die Meerschweinchen streicheln. Ganz weich und flauschig und warm. Warm. Ninas Lippen waren warm gewesen und hatten nach Anis geschmeckt. Verdammt. Im Maisfeld fiel es mir ein. Man hatte Knock in seiner Scheune gefunden. Gerüchte, dass wir die Meerschweinchen nicht ohne Gegenleistung hätten sehen dürfen. Keine Beweise, aber das Dorf vergisst nicht. Bevor er mit der Schlinge um den Hals vom Heuboden gesprungen war, hatte er die Käfige geöffnet. Der Junge zog mich an sich, seine Hand unter meinem Rock. Als seine Zunge in meinen Mund glitt, stellte ich mir vor, er wäre Nina. Nina. Nina. Nina. Ich dachte und er flüsterte und beide meinten wir das Gleiche und doch nicht das Selbe. Aber dieses Mal wollte ich spüren, wollte, wollte so Vieles als ich ihn auf den Boden drückte und mich auf ihn setzte.
Als er in mir war, dachte ich an das Rattengift im Futter und ein warmer Schauer lief mir über den Rücken. Ich war diejenige, die bestimmte, zum ersten Mal in meinem Leben ganz auf mich allein gestellt und ich machte es gut, machte es richtig, denn er wand sich unter mir, keuchte, schrie. Nina hatte mich angeschrien, am Tag danach, genau hier im Maisfeld. Zuerst aus Eifersucht, dann aus Wut und Abscheu wegen meines Geständnisses und zuletzt aus purer Angst. Als ich kam, verwandelte sich sein Stöhnen in ein Krächzen und ich legte die Hände noch fester um seinen Hals. Auf dem Heimweg musste ich eine Telefonzelle suchen, um der Polizei zu erklären, dass zwei Jugendliche im Mais schliefen.
Dann dachte ich an die Kaninchen und begann, dieses Lied zu pfeifen.