Dienstag, 26. November 2013

Effet, mer, optera



 


 Sie kehren mit dem Sommer zurück, verwandeln den See vom Refugium zur Arena ihrer Balzrituale. Plärrende Bälger, Bikinimädchen, Jünglinge, schmerbäuchige Vertreter der Parentalgeneration, die auf der Suche nach lustvollen Einblicken durch das Gestrüpp wandern.
Ich war stets ein Einzelgänger, weiß um die Gefahren, die die Gemeinschaft bringt. Diesbezüglich waren meine Eltern, wenn auch unabsichtlich, gute Lehrer. Ansonsten hatten sie sich nicht großartig um unsere Bildung gekümmert. Nachtschwarze Seelen, lustgesteuerte Defätisten, die meine Geschwister und mich aus billiger Eitelkeit ins Leben zwangen, ohne auch nur einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. Sie blieben nicht lange genug, um zur Rechenschaft gezogen zu werden, vergingen in einer Nacht zu Fleisch und Blut, verreckten an ihrer eigenen Geilheit. Dabei zuzusehen, wie sie krepierten, an ihren klebrigen Säften erstickten, war einer der schönsten Momente meiner Kindheit. Als ich ihre Züge in meinen Geschwistern wiederfand, wunderte es mich kaum. Sie wussten es nicht besser, rastlose Geschöpfe, die mit dem Strom trieben, nie gelernt hatten, Festzuhalten und die Idee, es zu versuchen, nicht einmal in Betracht zogen. Dazu bedarf es einer Persönlichkeit wie der meinen. Die Anderen sind schwach, nicht in der Lage, sich dem Trieb zu widersetzen, die Sinne einer Schönheit zu öffnen, die tiefer liegt. Übertrieben schrill und billig hallt das Gelächter meiner Schwestern über das Wasser, Heiterkeit, ebenso gespielt wie das Draufgängertum, das meine Brüder durch derbes Verhalten an den Tag zu legen versuchen. Dennoch spüre auch ich ihn, den Zauber, der in diesem Tag schläft, wie ein Nachtjäger auf die Dämmerung lauert. Etwas kündigt sich an, eine Wendung, die mit dem Sommer zieht. Seine Blicke begegnen mir zu häufig, um Zufall zu sein. Wie ich ragt er aus der Menge,eine Lilie unter den Dornen, eine verwandte Seele. In den verlorenen Stunden der Ruhe kreisen meine Gedanken um ihn, schützen mich vor der Kälte und sind Halt im Mahlstrom der Einsamkeit. Ich spüre seine Gedanken, sehe seinen Blick für die Schönheit des Geistes. Sein Mund ist geschaffen, um zu schweigen, sobald es ihm an Inhalten mangelt. Ich träumte mich an seine Seite, sah uns die Welt erkunden und dabei einander entdecken. Nach und nach, eine zarte Annäherung, die keine schnöde Zurschaustellung impliziert. Alles was es brauchte, war Zeit und die naht nun, das spüre ich.


Die Nacht lässt ihren Zauber frei ohne an Hitze zu verlieren. Man findet einander, die Begierde ist nicht mehr von koketter Verschämtheit, sondern so aufrichtig, dass es schmerzt. Ich suche ihn inmitten der Massen, zwänge mich durch ein Meer aus enthemmten Körpern. Liebe treibt mich, noch mehr aber Angst und ich finde ihn, kurz bevor sie mein Herz zerreißt. Er wirkt ruhig, aber seine glänzenden Augen verraten ihn. Die Stunde macht uns zu Tänzern auf dem Mondlicht. Ich höre das flirrende Gelächter meiner Schwestern aus meiner eigenen Kehle, spüre den Trieb, heiß und pochend. Die Tiefe schwindet und die Gedanken verlassen meinen Mund als billiges Stöhnen. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter, mein Ohr an seine Lippen. Seine geflüsterten Worte zerstören heiser jede Hoffnung. Wir sind nicht mehr als Blut in Wallung und ich möchte weinen um die verlorene Nacht, das kurze Leben und den Tod des Geistes, als mir bewusst wird, dass ich nicht einmal Tränendrüsen besitze.

Wie hässlich Träume nackt sind... 





Sonntag, 24. November 2013

Regen übers Land










November war die Zeit der Südflüge. Wer den Anschluss verpasst hat, bleibt allein in der Kälte. Rilke flüstert von zu bauenden Häusern, aber nun ist es zu spät. Denn hier ist das Land, die Stagnation. Im Winter rückt die Natur näher, zeigt sich grausam und schonungslos, treibt uns mit den Spinnen in die Häuser. Schöne weiße Häuser mit hohen düsteren Toren. Wir kehren davor, denn es soll perfekt sein. Das neue Jahr liegt nicht länger in lauernder Wartehaltung, sondern hat bereits zum Sprung angesetzt und so lächeln wir einander Wünsche zu. Es könnte das letzte Mal sein, dass man so jung zusammen kommt.
Tatsächlich wünschen wir einander die Pest an den Hals, hinter zugezogenen Vorhängen gärt es grünlich und ich wünsche mich in unseren Sommer. Ich wünsche mich in deine Stadt, die groß ist, laut, krank und wundervoll. Wünsche mich an deine Hand, in deine Straßen, will mit dir die Orte deiner Kindheit suchen. Wünsche, ein großes, träges Raubtier zu sein, lauernd in deinem Bett, gierig süchtend nach deinem Schweiß.



Konjunktive schneiden wie Messer.
Manche sagen, es gäbe diesen einen Menschen, der für einen geschaffen sei und den man nie wieder los lassen solle. Helle Tigeraugen und warme Hände und unzählige Geheimnisse später entgleitet er mir. Ich bin ein Winterwolf, dem man das Fell abgezogen hat, der es sich dumm lächelnd abziehen ließ und nun darum weint. Nackt und zitternd verkrieche ich mich unter den Dachbalken, wo Dunkleres lauert als Einsamkeit.
Weil ich sie Freunde nennen, können sie mich nicht dort lassen. Sie zerren mich gewaltsam nach draußen, an grelle Orte. Hier gibt es keine Verbote. Es gibt Bier, Gin laute Worte und Gelegenheiten, bitter wie Tollkirsche. Dann und wann trifft eine Faust auf Knochen oder weiche, nachgiebige Stellen, ab und an blitzt ein Messer und wenn sich der Himmel färbt, findet sich ein finsterer Begleiter. Aber das muss reichen. So ist das Land.
Anstatt mich mit dir, an dir zu wärmen, durchstreife ich die kahlen Felder und vergrabe unsere ungeborenen Kinder unter den Wurzeln nackter Kirschbäume. Ich vergrabe sie tief, weil die Krähen lauern. Trampele die Erde über den Gräbern fest, weil er kommen könnte, so unwahrscheinlich es scheint in diesen Tagen, er könnte wieder kommen um sie auszugraben, der Frühling.

Dienstag, 12. November 2013

Der Steinmetz

 
 
 
 
Die Tropfen hatten schnell gewirkt und sie schlief fest...
..., als er sie bäuchlings auf die Werkbank legte. Bevor er mit der Arbeit begann, nahm sich der Steinmetz eine Minute Zeit, sie in ihrer ganzen Unzulänglichkeit zu betrachten, um später den Nachher-Effekt noch mehr genießen zu können. Dann besah er das bereit gelegte Werkzeug und entschied sich nach kurzer Überlegung für das Spitzeisen. Er hatte beschlossen, an einer einfachen Stelle zu beginnen. Vorsichtig strich er ihr Haar nach vorne und begann, ihren Nacken zu bearbeiten.

Schon nach wenigen Schlägen waren die Bissspuren ihrer Affären abgetragen und die Haut jungfräulich glatt. Zufrieden entfernte er die Tätowierung von ihrem rechten Schulterblatt. Zwar hatte sie keine Bedeutung, aber er fand die Stelle vulgär. Ihr Rücken war weiß und eben, nichts zu verbessern. Weiter unten sah es anders aus. Deutlich erkannte er die Fingerabdrücke des Philosophen auf ihrem Hintern. Er konnte sie sich vorstellen, wie sie nebeneinander lagen und seine Hände über die weichen Rundungen wanderten, während er stundenlang seine Gedanken vor ihr ausbreitete. Wütend über die Vorstellung, schlug der Steinmetz fester zu, als beabsichtigt. Die Fingerabdrücke waren verschwunden, dafür war ihr Hintern jetzt etwas zu flach. Nun, sie trieb Sport, sie würde das mit der Zeit ausgleichen können. Die Tätowierung an ihrer Wade war ihm schon lange ein Dorn im Auge. Das Monster sollte für Stärke stehen, das Erheben aus der Asche. Lächerlich. Sie würde ihren Phönixmoment haben, wenn sie sich später im Spiegel besah. Er gab sich Mühe, nicht allzu viel abzuschlagen, aber als er sie später auf den Rücken drehte, bemerkte er, dass die rechte Wade nun deutlich kräftiger war, also entfernte er dort auch ein wenig Masse. Ebenso an den Oberschenkeln, um die entstandene Disproportionalität auszugleichen. Nun war ihr Unterkörper nach seinen Wünschen gestaltet und er wandte sich dem Torso zu. Die Rollen an ihrer Hüfte waren etwa einen Finger dick. Relikte aus der häuslichen, stagnierenden Beziehung mit dem Schnicker, deren Leere sie mit Essen zu füllen versucht hatte. Nachdem er sie bearbeitet hatte, waren ihre Kurven wieder perfekt. An ihren Brüsten hatte er prinzipiell nichts auszusetzen, aber sie ging auf die Dreißig zu und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schwerkraft hier wirken würde. Er reduzierte sie, bis nach seinem Maßstab je eine handvoll übrig blieb. Das würde ausreichen und weniger schnell schlaff werden. Kurz überlegte er, einen Teil ihres Bizeps abzutrennen, um sie etwas weiblicher wirken zu lassen, dann entschied er sich aber dagegen, weil er sonst ihre Schultern hätte angleichen müssen und das war eine komplizierte Arbeit. Stattdessen entfernte er mit einem gezielten Schlag die Kneipenschlägernarbe von ihrer Oberlippe. Überhaupt war das Gesicht verbesserungsbedürftig. Der Steinmetz glich die Lachfalten aus. Zeugnisse sinnfreier Saufabende mit ihren Proletenfreunden. Zu gerne hätte er die arrogante Nasenspitze etwas abgeflacht, aber dann hätte die Nase zu breit gewirkt und sein Bedürfnis nach Perfektion verbot ihm das. Ihr linkes Auge war etwas kleiner als das rechte. Es war Präzisionsarbeit und bedurfte nur eines hauchzarten Schlages, einen Teil des Lids zu entfernen, so dass nun auch in ihrem Gesicht wieder Gleichgewicht herrschte. Als letztes wandte er sich dem schwierigsten Teil zu. Tiefe Sorgenfalten hatten sich in ihre Stirn gegraben. Er wusste, wie sehr sie um den Schwächling gekämpft hatte, seinen Kopf in ihren Schoß gebettet, hatte er nächtelang wach gelegen und sein Schicksal beweint. Es hatte nichts genutzt. Der Schwächling war weit weg, eingesperrt wo er niemandem Schaden zufügen oder sie mit seinen Problemen behelligen würde. Höchste Zeit, seine letzten Spuren zu tilgen. Schweiß tropfte von seiner auf ihre Stirn und seine Augen brannten vom konzentrierten Starren, aber irgendwann war er fertig. Kurz bewunderte er sein vor der Vollendung stehendes Werk, dann warf er die Flex an, um ihr buchstäblich den letzten Schliff zu verleihen. Fertig. Ehrfürchtig staunend betrachtete er sie, bis er spürte, wie geil er davon wurde. Nur kurz zögerte er, bis er sich eine Rechtfertigung zurecht gelegt hatte und erleichtert zwischen ihre gespreizten Beine glitt. Trotz ihrer fehlenden Aktivität kam er schnell und heftig, den Kopf zwischen ihren verbesserten Brüsten gebettet. Dann wischte er sie und sich selbst mit seinem verschwitzten Hemd ab und verließ die Werkstatt, um das Abendessen vorzubereiten. Später, wenn sie wach war, würde er sie nach allen Regeln der Kunst verführen, wie er es seit einem Monat allabendlich tat. Nur würde es heute noch besser sein. Nicht nur besser. Perfekt.

Zwei Stunden hatte er gerechnet und als er nach Ablauf dieser Frist zurück in die Werkstatt kam, hatte sie ihre Position zwar nicht verändert, aber ihre nun gleich großen Augen waren offen. Sie reagierte nicht, als er sie ansprach, also richtete er sie auf und tatsächlich blieb sie sitzen. Mehr allerdings auch nicht. Etwas ratlos wedelte er seine Hand vor ihren Augen hin und her, täuschte Fausthiebe an. Kein Blinzeln, kein Zucken, Nichts. Der Steinmetz hob ihren linken Arm und beobachtet resigniert, wie dieser in der Stellung verharrte, als er ihn los ließ. Seufzend hob er sie auf und trug sie nach draußen in den Garten. Wenngleich er wenig Hoffnung hatte, gab es doch die Möglichkeit, dass die warme Spätsommerluft ihr wieder etwas Leben einhauchen würde. Keine Reaktion. Er bog ihre Wirbelsäule durch und richtete sie auf. Er wünschte, sie hätte langes Haar gehabt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihren Arm nach innen zu biegen und ihre Hand züchtig vor ihren Schritt zu legen. Den rechten Arm winkelte er an, spreizte ihre Finger und schob sie in ihr Haar. Den Kopf knickte er ein wenig nach hinten und bog den Rücken stärker durch. Fast wäre sie umgefallen, deswegen brachte er ihre Beine in eine Ausfallschrittstellung. Die Pose war gleichzeitig schüchtern und herausfordernd, kokett, aber nicht zu offensiv. Sie hätte ihr gefallen. Kurz überlegte der Steinmetz, ihr einen besonderen Platz zu geben. Unter dem Kirschbaum vielleicht, oder auf dem Stück Wiese mit den Wildblumen, aber dann fand er, dass sie doch recht gewöhnlich gewesen war und stellte sie zu den anderen vor die Buxbaumhecke.