Donnerstag, 31. Juli 2014

Felder und Schlachten






Originalfoto von Angelika Weis




Morgen: Ich bin zurückgekommen, um festzustellen, dass diese Stadt nur noch bei Nacht zumutbar ist. In der Sonne ist es unerträglich heiß, aber die Schattenplätze sind überfüllt. Ist der Himmel nicht grellweiß, kleidet er sich schwefelgelb und die Hitze wechselt von stechend zu drückend. Zu eng, zu laut, zu voll. Kleidung, die in krampfadriges Wadenfleisch schneidet und haarige Leberflecke präsentiert, über allem der Geruch von Schweiß, irgendwo zwischen Essig und Zwiebeln. Inmitten der hässlichen Menschen bin ich die Hässlichste. Der Pareo wirkt albern, ein hilfloser Versuch. Die gebräunte Haut meiner Beine glänzt jetzt billig und mein Gestank lässt mich würgen. Verzweifelt suche ich nach den Gefühlen der vergangenen Wochen. Leichtigkeit, Freiheit und Übermut, der unübertreffliche Cocktail aller Abschlussfahrten. Gierig hatte ich all die Eindrücke aufgesogen, auf jede erdenkliche Weise konserviert, bereits getrieben von der Angst, zu vergessen. Gegen Ende war da sogar ein Hauch von Sehnsucht nach der Stadt und dem Wiedersehen mit dem Menschen. Geblieben sind Abscheu und Furcht und letztere steigert sich, während ich durch das muffig riechende Treppenhaus nach oben gehe. Er weiß, dass ich zurück bin, beinahe pünktlich und dennoch muss ich mehrfach klingeln, bevor er mir öffnet. Innerhalb von zwei Wochen hat er aus der Wohnung ein Dreckloch gemacht und als ich die Rolläden hochkurbele um frische Luft herein zu lassen, sehe ich, dass er sich selbst als Inventar zu betrachten scheint. Der Sommer hat ihn nicht einmal gestreift, seine Haut ist bleich, trocken und um die Augen dunkel. Ich trete auf einen Joghurtbecher und sauer riechende Masse quillt auf die Bodendielen. Worte, die meisten davon grob und hässlich, bahnen sich ihren Weg. Jene Härte, hinter der ich Verzweiflung verberge, die mir das Gefühl gibt, stark und mutig zu sein. Sie prallt ab an seiner Schutzschicht aus Dreck, perlt von seinem fettigen Haar und zerplatzt an den abgekauten, zackigen Rändern der Fingernägel. Er zuckt die Achseln und breitet die Arme aus. Auf den ersten Blick hilflos und entschuldigend, tatsächlich aber eine Machtdemonstration. Narben - alt, jung, verblasst, erhaben, rot - allesamt überzeugender als meine Worte. „Du hast gefehlt.“ Ich bin zu angespannt, um nach Gründen zu fragen.

Mittag: Die Kochnische ist noch am saubersten, was er in den letzten beiden Wochen gegessen hat kann ich an den Resten und Verpackungen auf dem Boden erkennen. Später stehen drei volle Müllsäcke im Flur. Schweiß und Essigreiniger brennen in kleinen Schrammen, mein Körper fühlt sich so roh und wund an, dass ich mich nicht traue, die nassen Kleider auszuziehen, aus Angst ich könnte meine Haut mit abstreifen.
Noch immer rauscht die Dusche und ich versichere mir zum wiederholten Mal, dass er die Zeit jetzt braucht und ich den Aufprall hören würde. Zwischen den Polstern des Sofas finde ich ein Foto. Fast hätte ich es in die Schublade zu den anderen gelegt. Familienbilder. Er, seine Brüder. Die Gesichter seiner Eltern hat er entfernt, je nach Gemütslage sauber mit der Rasierklinge ausgeschnitten, an den heftigeren Tagen mit der Zigarettenspitze weggebrannt, gerissen, gebissen. Dieses Bild allerdings zeigt uns vor einem halben Jahr. An jenem ersten Abend. Das letzte Schulhalbjahr hatte begonnen, die Vergangenheit löste sich auf, während die Zukunft noch im Nebel lag.. Alles schmeckte fad, alles langweilte und zugleich war ich auf der Suche nach Halt. Er war da, auf einer jener Partys, die zu Finanzierungszwecken nun beinahe wöchentlich stattfanden. Inmitten der Menschen, die sich den Ausdruck gelangweilter Lässigkeit ins Gesicht zwangen, war er ein Lächeln, ein aufrichtiger Blick und ein Gespräch. Er war da, als Winterkälte aus Alleinsein Einsamkeit machte und etwas fehlte.

Abend: Seine hellen Augen sind klar und wach, meine Haut verschwitzt und schmutzig. Ich will nicht, dass er mich jetzt berührt, kralle die Fingernägel in die Handflächen, als er den Kopf in meinen Schoß legt und sein sauberes, feuchtes Haar auf die glühende Haut meines Oberschenkels fällt. Und doch ist es gut. Er besitzt eine Schönheit, deren Reiz ich mich nicht entziehen kann. Eine perfekte Hülle hinter der ein ebenso unwiderstehlicher Abgrund lauert. Ich habe ihn gesehen und man hat mich davor gewarnt. „Sei vorsichtig“, flüsterte mir sein Bruder zu, als er uns einander vorstellte, „er ist anders.“ Anders. An jenem Abend klang es wild, abenteuerlich und verlockend. Er kannte schöne und kluge Worte und besaß die Fähigkeit, sie mir zu widmen, wagte zu tanzen ohne zu trinken. Inertia creeps, You get what you give, Spanish Flea. Romeo und Perdita. Anders. Wie passend und schön es damals klang. Wie schmerzvoll, es neu zu definieren. „Du hast gefehlt.“ Ich bin zu müde und elend, um nach Gründen zu fragen.

Nacht: Er hat die Matratze auf den Balkon geschleift, weil er unter freiem Himmel schlafen will. Ich habe eine Brise erhofft, eine Abkühlung oder zumindest eine wahrnehmbare Temperaturveränderung, aber kein Luftzug wagt sich ins geschwürzerfessene Gedärm der Häuserschluchten. Noch immer ist es laut dort unten, man feiert die eigenen Abgründe, zeigt einander kichernd die vom Leben geschlagenen Wunden und verwechselt sie mit Erfahrung. Hier oben sitzen wir und versuchen, nicht zu verbluten. „Die Stadt frisst die Sterne.“ Er sitzt auf der Brüstung und starrt in den orangefarbenen Schimmer, hinter dem sich die Nacht verbirgt. Ich folge seinem Blick, finde den Schützen, beide Wagen und die elende Wega, aber keinen Trost. Sterne, Kometen, Leoniden. Am schönsten im freien Fall und sicherheitshalber umschlinge ich sein Bein. Zu dünn, aber er wartet nur darauf, dass ich etwas sage. Masochistische Vorfreude in seinen Augen und ein angriffslustiges Lächeln auf den schönen Lippen. Wenn ich mich auf Härte berufe, nutzt er seine analytischen Fähigkeiten, spürt Schwachpunkte zielgenau auf und weiß sie zu treffen. Wann immer Wut und Schmerz zu groß werden, schafft er sich ein neues Schlachtfeld, das seine volle Aufmerksamkeit fordert. Einen schuldbewussten Moment lang wünsche ich mir seine Verzweiflung zurück. Schweigend ziehe ich ihn zu mir auf die Matratze. Er lässt es zu, wird Marionette, Puppe, eine überwältigende und reglose Reliefkarte. Fasziniert streiche ich durch das nachtschwarze Haar, grabe die Zähne in die weiche Haut oberhalb seines Schlüsselbeins und kratze ihm Sternbilder in die Brust. Ich fürchte die messerscharfen Rippen und die Grate der Hüftknochen. Täler sind mir lieber und ich bin zu aufgeputscht und geil, um nach Gründen zu fragen.

Mitternacht: Es ist still geworden und die letzten Lichter sind erloschen. Über uns gibt sich die Nacht samtig und lässt den Sternen den Vortritt. Sein Gesicht ist friedlich, sticht mir ins Herz und in diesem ruhigen Moment ist mein Wunsch ihn zu retten selbstlos. Eine Zeit lang bleiben wir stumm, genießen die Hoffnung bevor wir sie gemeinsam zerstören. Ich mit meiner Frage nach den Gründen, er indem er mich mit seiner Antwort zurück in die Schlacht schickt:
„.Es ist furchtbar, mit mir allein zu sein.“


Inspiration:
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Dienstag, 15. Juli 2014

Angst






Manche sagen, ihre Zeit sei die Nacht, aber das sehe ich anders. Vielleicht bietet die Nacht mehr Möglichkeiten, erlaubt durch den Mangel an Reizen eine intensivere Beschäftigung mit ihr, aber präsent ist sie immer. Jetzt gerade nimmt sie zu, wartet nicht länger bis freie Momente zur Verfügung stehen, sondern stiehlt sie von meinem Alltag. Sie ist die Hand um meine Kehle, die Erhöhung der Stimmlage und das Herzrasen. Sie malt Trugbilder, verleiht der Realität Vielschichtigkeit und legt hässliche Masken auf die Gesichter der Menschen. Auch und gerade auf die derjenigen, die mir wohlgesonnen sind. In diesen Tagen macht es keinen Unterschied. Ich fürchte sie genug, um sie zu personifizieren, gliedere sie aus und merke dabei, dass es genau der falsche Weg ist. Also nenne ich sie Angst. Sie kommt von Innen, ist tonnenschweres Gewicht und nagender Zahn in meinen Eingeweiden. Dass ich so fühlen dürfe, ist ein gutgemeinter Rat, ich weiß um die Absicht dahinter und erkenne die Freundlichkeit dieser Worte an. Von Nutzen allerdings sind sie nicht. Letztlich ist es der Angst egal, ob ihre Existenz legitimiert wurde, sie ist einfach da. Und sie wächst, wächst sich aus zu etwas, das Fachnamen trägt und mich im Haus ankettet. Es wird schwieriger, den Körper vor die Tür zu zwingen und meist verlangt er dafür eine Belohnung in Form von Substanzen, die ihm nicht gut tun. Sie schmälern die Angst, aber töten das Ich. Das Ich. Und warum du überhaupt? Du wirkst immer so... . Genau. Vielmehr glaube ich sogar, dass jene Fassade der Mensch ist der ich sein kann. Könnte. Ohne die Angst und die vielen Mittel, die sie einen Moment lang beiseite zwingen. Woher kommt sie? Ist sie atavistisch, basiert sie auf einer Begebenheit? Tausend Antworten, für das Thema hat keine davon Relevanz, weil es egal ist, woraus sie resultiert. Wichtig ist, dass sie da ist. Vertraut, aber mit neuem Unterton, belastender und einschränkender denn je. Die Angst.