Wir sind Schatten. Wir warten in jeder schlecht
beleuchteten Straße, jedem uneinsehbaren Winkel. Wir lauern in den
Sekunden, die zwischen dem Betreten eines dunklen Raums und dem
Ertasten des Lichtschalters liegen. Du weißt, wie sich unser Atem in
deinem Nacken anfühlt, aber du hast verlernt, ihn von einem Windhauch zu unterscheiden.
Die Brutalität mit der die Grenzen
niedergerissen worden waren, verhieß einen Strom, aber der Wahnsinn
war ein Rinnsal. Es sickerte durch die Schichten der Realität,
versetzte dem Bewusstsein unregelmäßige Impulse und zwang es zurück
in den Körper.
Wir sind Schmerz. Das Knirschen deiner
Wirbelsäule auf dem Mahagonischreibtisch. Das glühende
Ende der Zigarette auf deiner Haut und
das Knacken deines Nasenbeins. Das Messer in deinen Eingeweiden, das
Stechen und Reißen.
„Viel sieht man nicht. Wie lange ist
das her?“
„14 Tage.“
„Sie hätten früher kommen müssen.
Jetzt kann man nichts mehr machen. Wie ist das denn passiert?“
Er war ziemlich betrunken und auch
etwas abgelenkt, weil einer der anderen einen Witz gemacht hatte und
als er aufstehen wollte, hat er sich versehentlich in meinem Gesicht
abgestützt.
„Beim Skaten gegen ein Schild gefahren.“
„Oh. Sie haben aber gefährliche Hobbies. Das nächste Mal dann
etwas vorsichtiger, ja?“
Ja. Das nächste Mal dann.
„Ich sehe da derzeit keine Schwierigkeiten, was das Atmen angeht.“
Ich auch nicht,
es ist unmöglich.
„Bliebe der kosmetische Aspekt.“
Unvermittelt zieht er einen Spiegel hervor und ich beiße mir auf die
Lippen, um nicht zu schreien.
„Wie gesagt, man sieht es kaum, eine
leichte Asymmetrie, sie fällt gar nicht auf.“
Nein, angesichts der allgemeinen
Schräglage kann man das wirklich nicht behaupten.
„Wenn Sie mich
fragen, steht einer Modelkarriere nichts im Wege.“
Er lacht freundlich und ich lache
zurück, bis ich den Anblick seiner weißen Zähne nicht mehr ertrage
und wegsehe. Hinter dem Schreibtisch materialisieren sich die
Schatten.
Wir sind die Lüge. Das Zähnefletschen
hinter deinem Lächeln und das Zucken deiner Lider, wenn Freunde sich
nach deinem Befinden erkundigen.
Seine Augen sind unversehrt, helle
Projektoren und das Wissen darin unauslöschbar. Das umliegende
Gesicht trägt Kampfspuren. Beim Versuch sie beiseite zu wischen
verliere ich zwei Finger und er eine fragend gehobene Braue. Noch
immer glaubt er daran, dass man alles hinter sich lassen kann, wenn
man nur schnell genug läuft. Der Läufer hält meine Hand fest
umklammert, Hoffnung trägt ihn und atemlos flüstert er von Liebe.
Ich taumele hinterher, stolpere über seine unbeholfene Fürsorge und
zerschelle an seinem Mitleid.
Wir sind der Hass, die zerstörerische
Kraft hinter deiner Ohnmacht. Jedes grausame Wort, das du den Deinen
entgegen schleuderst. Wir sind bei dir, wenn du durch die düsteren
Ecken der Stadt ziehst, ein Streuner auf der Suche nach einer
Gelegenheit. Wir sind der Triumph, der deinen Treffern innewohnt und
die nachtschwarze Befriedigung über jeden Schlag den du einstecken
musst.
Die Monster haben ihren Platz unter dem
Bett schon lange verlassen. Auch auf die Nacht sind sie nicht mehr
angewiesen. An den guten Tagen gelingt es mir, sie zu ertränken. An
den schlechten nicht.
Wir sind die Angst. Das
unkontrollierbare Zittern, die Panik, die nach Patchouli, Schweiß
und Blut stinkt. Wir sind die brüchige Stimme der Unsicherheit, wann
immer du mit einem Fremden allein bist.
Ich siege nicht. Ich beuge mich der
Vergangenheit, schreibe die Gesetze des Erträglichen neu und warte,
ob mir das Überleben vergönnt ist. Manchmal sieht es gut aus. Heute
nicht.
Wir sind Schatten. Wir warten in jeder schlecht
beleuchteten Straße, jedem uneinsehbaren Winkel. Wir lauern in den
Sekunden, die zwischen dem Betreten eines dunklen Raums und dem
Ertasten des Lichtschalters liegen. Du weißt, wie sich unser Atem in
deinem Nacken anfühlt, aber du hast verlernt, ihn von einem
Lufthauch zu unterscheiden. Wir sind da und wir werden bleiben. Lass
uns spielen!
Keine Lust.
Hast du Angst? Du wirkst
eingeschüchtert.
Das täuscht. Ich bin müde.