Donnerstag, 31. Januar 2013

Nachklapp



Was folgt, ist Nachklapp. In der letzten Minute dröseln sich die Fäden auf und dennoch lächelt Johann. Sein Gesicht glänzt schweißfeucht im flackernden Blaulicht, aus einem Riss an der Braue läuft Blut, bahnt sich seinen Weg über glatte Haut ins dunkle Dickicht der Haare. Draußen schreit jemand Anweisungen, aber es ist egal. Johanns Hand legt sich über meine, die voller Blut ist, und unsere Blicke treffen aufeinander. Schritte und laute Rufe im Erdgeschoss, auf der Treppe, im Gang, aber sie sind ebenso zu spät, wie ich.

Johanns Problem war die Zeit. Er kannte sie, er verstand sie, aber er weigerte sich, sie als gegeben zu nehmen. Er wusste, wann es Zeit war, zu schweigen oder den Blick zu senken, aber er tat es nicht. Den Pakt mit dem Teufel schloss er nicht an einem einzigen Tag, er wurde über Monate und Jahre hinweg erarbeitet. In Sitzungen, die die Stille der Nacht durchbrachen, einem stetigen Kräftemessen, das vor unseren Augen statt fand, der blutigen Debatte über Prämissen und Sanktionen. Ob Johann gezielt handelte, oder einfach nicht anders konnte, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass wir anderen nach und nach unser schweigendes Einverständnis gaben. Es war der einfachere Weg, nahm die Schuld von der logischen Erkenntnis, dass die Bestie, solange sie sich gegen Johann wandte, wenigstens die anderen in Ruhe ließ. Wir lernten, zu schweigen, die Stimmen nur dann zu erheben, wenn es galt, die Geräusche aus dem oberen Stockwerk zu übertönen. Mit jedem abgewandten Blick, jedem Drehen am Lautstärkeregler, vor allem aber, als wir begannen, in Johanns Lächeln Provokation statt Unbekümmertheit zu sehen. Es heftete sich auf seine Lippen, zuckte verächtlich im Takt der Gürtelschläge und sorgte dafür, dass die Hand der Bestie nicht müde wurde. Es strahlte unter Nasenblut, wurde breiter, wenn es Schreie zurück hielt und zeigte Zähne, wenn zu Pfeilen geschärfte Worte stumpf an Johann abprallten. Wenn der Kopf meines Bruders in der Toilettenschüssel steckte, wanderte es durch seine ausgestreckten Arme in die aufgestellten Mittelfinger, ein obszöner Christus, der die Wut des Teufels über ihm am Brennen hielt. Seinen Blick verbarg Johann unter einem Vorhang aus dunklem Haar und bei den seltenen Gelegenheiten, in dem er ihn hob, gab ich mir Mühe, ihm auszuweichen. Feucht und gehetzt, hätte er ihn verraten.

An diesem Abend hat er mich getroffen, mit flehender Intensität, die das Lächeln Lügen strafte. Aber es lag nicht an Johanns Blick. Auch nicht an der Tatsache, dass ich erstmals Zeuge wurde, wie er sich wehrte und die Bestie unter unseren entsetzten Blicken zu Boden ging. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der sie uns auf ihrer Seite glaubte, als sie sich wieder aufrappelte und Johann die Abreibung seines Lebens versprach. Mein Wissen, dass Johanns Lächeln nicht den Misshandlungen, sondern unserer Passivität galt, spiegelte sich in seinen Augen, als Vater Johann über die Treppe prügelte. Es setzte sich in Aktivität um, als ich die dumpfen Schläge hörte, trieb mich nach oben, wo Johanns Stirn rote Flecken auf der hellen Tapete hinterlassen hatte. Er wehrte sich nur noch schwach gegen die Bestie, die über ihm kniend wieder und wieder zuschlug. Und dann setzt die Erinnerung aus.

Was folgt, ist Nachklapp. Sie geben uns Anweisungen, wie wir uns zu verhalten haben. Etwas blockiert die Tür, sie lässt sich nicht ganz öffnen und sie zwängen sich durch den schmalen Spalt. Sie sind sowieso zu spät. Jemand zieht mich hoch und biegt meine Arme nach hinten, während sich ein Sanitäter neben Johann kniet. Sein Kollege beugt sich über die Gestalt hinter der Tür, misst wo es nichts mehr zu messen gibt. Die Bestie hat ihren letzten Atemzug getan. Als sie mich nach draußen zerren, begegne ich Johanns Lächeln und spüre, wie sich meine Lippen verziehen.

Dienstag, 15. Januar 2013

Die Fremde




Heute morgen warst du plötzlich wieder da.
Starrtest mir aus dem Spiegel entgegen, das Gesicht unbewegt.
Falten, Flecken und Härchen.
Du wirst wieder kantiger, härter.
Und trotzdem:
Packst du es noch, wenn es darauf ankommt, oder haben die letzten Jahre dich weich gemacht? 
Sind deine Krallen noch scharf?
Deine Muskeln angespannt?
Wirst du noch schnell genug sein, wenn man über deine Grenzen tritt, oder hat Vertrauen dir den Instinkt genommen?
Bist du zum launigen Streicheltier degeneriert?
Ein Zucken der Mundwinkel, eine schnelle Bewegung und dann ziert ein blutiger Kratzer meine Wange.
Du bist noch da.
Oder wieder.
Und wie ich dich kenne, wirst du bleiben.
Gut so.
Der Winter hat gerade erst begonnen.

Montag, 14. Januar 2013

Gratwanderer 3



Am Rand eines Anderen Abgrunds


hinter dem Nachtschalter ist klug genug, unsere erbärmliche Erscheinung zu ignorieren und sich voll und ganz dem Geschäft seines Lebens zu widmen. Die Beleuchtung der Tankstelle lässt Nils' Gesicht grün wirken und das Aufeinanderschlagen meiner Zähne ist unkontrollierbar. Der Spätsommertag ist einer Herbstnacht gewichen und ich habe nicht daran gedacht, meine Jacke anzuziehen. Auf dem Rückweg schweigen wir. Nils scheint sich Worte zurecht zu legen und ich suche vergeblich nach einer Möglichkeit, sie mir nicht anhören zu müssen. Lex' dicker roter Kater wartet vor der Haustür und schließt sich uns an. Schnurrend umstreicht er meine Beine, ein vermeintlicher Beweis dafür, dass ich in der Lage bin, Verantwortung zu übernehmen. Tatsächlich zeugt das Vieh nur davon, dass Talla nicht die Erste war, die ich im Stich gelassen habe.


Die Tatsache, dass ich Tallas Alter erst während ihrer Trauerfeier erfuhr, verwundert Nils. Ich habe einfach nie danach gefragt. Als sie sich nach meinem Geburtstag erkundigte, schwieg ich. Ich verbrachte und verbringe ihn bevorzugt alleine. Seitdem ich alt genug aussehe, um Alkohol zu kaufen, suche ich mir ein ruhiges Plätzchen in der freien Natur und widme mich dort hingebungsvoll dem Inhalt der erworbenen Flaschen, bis die Welt vor mir verschwimmt. Immerhin angenehmer, als die früheren Feiern im Familienkreis, an denen Lex und die mir verbliebene Großmutter sich ebenso eifrig wie vergeblich bemühten, eine fröhliche Stimmung zu verbreiten, während meine Eltern, gefrorenes Lächeln auf den Lippen, dem Jahrestag ihrer bittersten Enttäuschung gedachten.
„Nicht kompatibel.“
Das Flüstern des Arztes tätowierte Schatten auf ihre Gesichter, machte sie zum traurigsten Paar auf der Neugeborenenstation, stellte mir die Diagnose für das Leben, das vor mir lag. 


Ich habe noch nie Wert auf Geburtstage oder sonstige Daten gelegt und vermutlich fand Talla diese Angewohnheit originell genug, um sie zu übernehmen. Dass sie drei Jahre älter war als ich, überrascht mich nicht, aber dennoch rückt es sie in ein anderes Licht. Ich zeigte ihr meine Ecken und Kanten, um sie auf Distanz zu halten. Stattdessen band ich sie damit fester an mich, war sie dankbar, für all die blutigen Schrammen, die sie sich an mir holte und die sie als Zeichen des Erwachsenseins betrachtete. 


Er spricht ihren Namen aus, als könnte er sich noch immer daran verletzen. Ich will weg laufen, schreien, ein Kissen auf sein Gesicht pressen, aber ich sitze stumm und gelähmt neben ihm, unfähig, mich seinen Worten zu entziehen. Während Nils erzählt, entdecke ich, wie sehr sich unsere Biographien gleichen. Es ist egal, ob man ein mit Erwartungen behaftetes Wunschkind ist oder versehentlich gezeugt wurde, beides schmerzt, wenn es einem vorgehalten wird. Während ich mich mit Verachtung wappnete, war er süchtig nach Zuneigung. Und die erhielt er von diesem Mädchen, das sich so sehr nach der Finsternis sehnte. Nils hatte Talla auf jenen Thron gehoben, von dem ich sie später stoßen und ihr Genick brechen sollte.


Wie bezaubernd sie als Teenager gewesen sein muss. Grenzenlose Unbekümmertheit und kindlichen Glauben im Gesicht. Nils erzählt, dass sie jeden hätte haben können, aber der Aussage, dass sie sich für ihn entschied, fehlt der normalerweise damit einhergehende Stolz. Er durchschaut sie, vielleicht erst seit dem vorigen Tag oder diesem Moment aber er tut es und die Erkenntnis muss schmerzen.


Assoziationen und Projektionen, die schleichenden Begleiter der Verliebtheit. Anfangs klein und harmlos, wachsen sie sich zu Messern im Rücken der Liebe aus, wenn man ihnen Beachtung schenkt. Talla hat sich als Heldin eines Stückes betrachtet, das sich ihren Launen entsprechend zwischen den verschiedenen Genres bewegte. Wohltäterin, Liebhaberin, Dompteurin. Wie sehr sie sich in diesen Rollen gefallen haben musste.
Ich will sie vor Nils bloßstellen, sie Chantal nennen und ihr die unzähligen Masken und Kostüme vom Leib reißen, bis ihre Motivation in ihrer ganzen Hässlichkeit vor ihm steht, aber das ist nicht länger nötig. Wie sehr wir uns in diesen Rollen gefallen. Ich beiße mir auf die Unterlippe, bis sie blutet. Die Luft im Wohnzimmer ist heiß, trocken und verqualmt. Ich sehe Nils' fragenden Blick. Er erwartet sein Urteil. Er blickt auf das Blut. Die Flaschen sind leer und es dämmert. Vielleicht schulde ich ihm Tränen, aber die habe ich nicht. Nur Schweiß und eben Blut.





Teil 1 



Sonntag, 13. Januar 2013

Gratwanderer 2

 
 
Am Rand deines anderen Abgrunds.
Manche Fragen betteln darum, nicht beantwortet zu werden.

Ich traf Talla in der Silvesternacht. Mein Bruder Lex war wieder einmal im Krankenhaus und ich betrunken genug, um in einem jener Clubs zu landen, in die er mich als Teenager geschleift hatte. Irgendwann zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte alles seinen Zauber verloren, die Langeweile war eingezogen und wurde seither zelebriert. Die Menschen tanzten mit gesenktem Blick in unsichtbaren Vierecken. Talla zwischen ihnen war ein Feuerwerkskörper im Moment der Explosion, funkelnde Euphorie. Als sich mein Gesicht merkwürdig anfühlte, spürte ich, dass ich unwillkürlich lächelte. Später sah ich sie in einer Gruppe Menschen, von denen ich einige flüchtig kannte. Selbsternannte Jungintellektuelle, die ihre Energien einzig in Selbstdarstellung und leere Diskussionen steckten, deren mangelnde Kompetenz und fehlender Ehrgeiz sich aber hübsch mit dem Geldbeutel der Parentalgeneration kompensieren ließen. Für einige von ihnen hatte ich Hausarbeiten geschrieben, als ich abgebrannt war und wäre Talla nicht unter ihnen gewesen, hätte ich einen großen Bogen um sie geschlagen. So aber wurden sie von der Pest zur Möglichkeit. Ich mischte mich unter sie und lauschte Talla, die mit klarer, die Musik übertönender Stimme eine schräge Geschichte erzählte. Während ich ihr zuhörte, ging mir auf, worin ihr Zauber lag. Begeisterung. Kindlich, vielleicht sogar naiv, aber ehrlich. Wir stürzten uns so hungrig darauf, eine Horde fahler Vampire angesichts einer rosigen Jungfrau.
Irgendwann am Nachmittag landeten sie und ich in meiner Wohnung. Ehrfürchtig betrachtete sie das Bild über dem Sofa. Lex hatte es nach einem Candyflip gemalt und es gab niemanden, der sich nicht irgendwie dazu äußerte. Talla tat mir den Gefallen und analysierte es nicht. Stattdessen erzählte sie von sich. Sie sprach mit der gefährlichen Offenherzigkeit der Betrunkenen, verschwommene Artikulation klarer Inhalte. Talla war auf der Flucht vor einem Leben, das, wie sie sagte, zu eng für sie geworden war. Ein Weg, den man vor ihr ausgebreitet hatte und dessen Grenzsteine sie wütend beiseite trat. Schwankend zeigte sie mir ihren Verlobungsring, bevor sie ihn mit einem weiteren Bier hinunter schluckte. Dann verfiel sie in hysterischen Ekel, bei der Vorstellung, ihn in ihrer Scheiße suchen zu müssen. Diesbezüglich hätte Talla sich keine Sorgen machen müssen, sie kotzte ihn zusammen mit ihrem restlichen Mageninhalt auf die Bodendielen.
Talla blieb zu meinem Erstaunen. Abgesehen von Lex und Judith hatte ich noch nie mit jemandem zusammen gewohnt. Ich betrachtete mich nicht als die Sorte Mensch, die dazu in der Lage wäre. Aber Talla war charmant und herzlich und folgte ihrem Freiheitsdrang so deutlich, dass ich glaubte, sie würde das auch mir zugestehen.
Dass sie einen Großteil der Miete zahlte, gab ihr das Recht, meine Wohnung nach ihren Wünschen zu nutzen und zu meinem Entsetzen füllte Talla sie mit unseren gemeinsamen Bekannten und veranstaltete merkwürdige Lesungen. Dunkle Gestalten lasen vor einer Menge, die ihre Begeisterung in größtmöglichem Desinteresse ausdrückte und die Texte anschließend bis zum letzten Graphem diskutieren wollte. Die Kunst erstickte unter Trivialstem und ich versteckte mich in der Küche. An einem jener Abende, als die Wohnung von Zigarettenrauch und leerem Gerede erfüllt war, lockte mich die Stimme eines Mannes aus dem Exil. Er las Texte über Wandel, Verfall und Verlust und je länger ich ihm zuhörte, umso wütender wurde ich. Dass seinem Vortrag der übliche gelangweilte Ton fehlte, hatte mich angezogen, aber der Schmerz darin widerte mich an. Er war so übertrieben und laut, dass er nicht real sein konnte. An diesem Abend trank ich weit über mein übliches Maß hinaus und als der Mann zu Ende gelesen hatte, warf ich all meine Prinzipien über Bord und ließ mich auf ein Gespräch mit ihm ein. Talla beobachte, wie unsere Unterhaltung an Intensität gewann. Zuerst erfreut, dann alarmiert. Ihr letzter Blick, als ich meine Faust in sein Gesicht schlug, enthielt Angst. Schmerz. Diese Menschen sehnten sich danach, saßen dem Irrglauben auf, dass er der einzige Schlüssel zu Authentizität sei, weil sie ihn nie kennen gelernt hatten. Sie beugten ihre Rücken einem imaginären Sturm, ohne jemals Wind im Haar gespürt zu haben. Und Talla war eine von ihnen. Sie überhäufte mich mit Tränen und Vorwürfen, die ich mir regungslos anhörte. Als sie endlich verstummte, fragte ich sie, ob sie nicht genau deswegen bei mir war. Eine Antwort erhielt ich nie.
Talla begann zu spielen. Statt nach dem Menschen zu suchen, der sie tatsächlich war, verschwendete sie ihre Energie darauf, den Menschen darzustellen, der sie gern sein wollte. Aber ihre Fassade war rissig, alte Gewohnheiten strapazierten sie. Talla war nicht so frei, wie sie gerne vorgab. Der Wunsch zu besitzen trieb sie und die Tatsache, dass ich Geheimnisse vor ihr hatte, machte sie ebenso rasend, wie die, dass mich die ihren nicht interessierten. Während sie abends allein unterwegs war und düsteren Abenteuer hinterher jagte, spannte sie tagsüber versteckte Sicherungsseile. Ich tolerierte das bis zu dem Tag, an dem sie entgegen meiner ausdrücklichen Bitte in Lex' Sachen wühlte. Sie saß am Küchentisch, seine gekritzelten Stammbäume und Landkarten vor sich ausgebreitet, und verfolgte Lex' Kugelschreiberlinien, die sich wie die Flugrouten verwirrter Zugvögel über Europa erstreckten. Sie in den privaten Unterlagen meines Bruders wühlen zu sehen, Neugier und Sensationsgeilheit im Blick, tat mir mehr weh als ihr Vertrauensbruch an sich. Ich wurde ausfallend, sie schlug zu und ich zurück. Es dauerte über eine Woche, bis der Abdruck ihres Rings aus meinem Gesicht verschwunden war und noch länger, bis ich mit ihr reden konnte, ohne dass Hass aus meiner Stimme quoll.
Es gab gute Zeiten. Jener Sonntagnachmittag, nicht lange nach unserem heftigen Streit gehörte dazu. Der Frühling war jung und zurückhaltend und wir lagen im Park, um die ersten Sonnenstrahlen zu genießen. Talla hatte mich nicht mehr auf Lex angesprochen, aber als sie es jetzt tat, überraschte ich uns beide, indem ich ihr von meinem Bruder erzählte. Von Krankheit und Rückfällen. Von Hoffnung, Suchen und Enttäuschungen. Irgendwann schimmerten ihre Augen. Wenn ich Talla jemals geliebt hatte, dann in jenem Moment. Als sie meine Tränen vergoss.
Briefe landeten in meinem Briefkasten. Weiße Kuverts auf denen in schöner, geschwungener Handschrift ein fremder Name geschrieben war. Dass ihr ehemaliger Verlobter weiterhin um sie kämpfte, erfüllte Talla mit widerwärtiger Selbstzufriedenheit. Sie trug seinen Schmerz wie eine Krone und als das Leid in seinen Briefen der Klärung von Formalitäten wich, kränkte es Talla. Oder Chantal. Sie mochte es, mit der Wirklichkeit zu spielen, sie zu kürzen oder zu erweitern, bis sie ihren Vorstellungen entsprach. Ich mochte es, an ihrer Fassade zu kratzen, bis Blut floss.
Es gab unzählige Zusammenstöße, aber nicht den großen Knall. Eiertänze um Nichtiges, unausgesprochene Sehnsüchte, die sich in Missmut Luft machten. Talla war verreist, als ich bemerkte, dass ich in ihrer Abwesenheit atmete. Ich kündigte die Wohnung, packte meine Sachen und verschwand. Ich sah sie nie wieder.
Die Flasche ist leer und der Tag der Nacht gewichen. Nils ließ mich reden, hörte geduldig zu und unterbrach mich nur selten. Ich bin müde und leer. Vielleicht sollte ich Reue zeigen, aber ich finde sie nirgends. Vielleicht hatte mir Talla irgendwann den Auftrag erteilt, ihre Hand zu halten, während sie am Abgrund balancierte, aber ich hatte nie zugegriffen. Vielleicht hätte ich sie von dem Leben, das sie sich so wünschte abhalten sollen. Aber das hatte ich nie als meine Aufgabe betrachtet.
Manchmal betteln Menschen darum, belogen zu werden. Aber für Bitten bin ich taub.
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Teil 1
Teil 3

Freitag, 11. Januar 2013

Gratwanderer


 

Am Rand eines anderen Abgrunds.
Der Sommer lag im Sterben, als ich mich zum letzten Mal von Talla verabschiedete. Seit mehr als zwei Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen, ich wusste nicht einmal, wer mir die Traueranzeige geschickt hatte und erst während der Rede des Pfarrers erfuhr ich, wie sie gestorben war. Schnell und heftig, wie das Leben, nach dem Talla sich immer gesehnt hatte, dem sie mit atemloser Begeisterung hinterher gejagt war, bis ihr Herz aufgab. Ich wusste, dass sie sich weinende, klagende Menschen gewünscht hätte. Sicher hatte sie geahnt, dass ich dazu nicht in der Lage sein würde und damit Recht behalten. Immerhin trug ich mein Schwarz ohne das alberne, selbstdarstellerische Pathos, das unsere ehemaligen Freunde an den Tag legten. Sie waren ausnahms- und rücksichtslos erschienen. Falls überhaupt möglich, hasste ich sie noch mehr als früher. Weder die Jahre, noch dunkler Zwirn hatten ausgereicht, um aus ihnen Erwachsene zu machen. Das Ereignis schon gar nicht. Bot es doch die Möglichkeit, sich einander nach all der Zeit wieder anzunähern, die sonnenbebrillten Gesichter erst in Betroffenheitsfalten und dann aneinander zu legen. Ich lauschte den Worten des Pfarrers, die ebenso schön wie leer waren. Tagelang hatte ich in mir nach Gefühlen gesucht, Trauer, Reue, irgendeine Regung, aber ich hatte nichts gefunden und suchte noch immer, als der Sarg zu den Klängen von Ave Verum aus der Halle getragen wurde. Ich folgte ihm und wurde verfolgt. Der Mann gehörte nicht zu den gemeinsamen Bekannten und die beinahe aggressive Neugier in seinem Blick weckte in mir auch nicht den Wunsch, das zu ändern. Ich sah zu, wie der Sarg in die Grube gelassen wurde und verschwand, ohne ihm eine Schaufel Erde
hinterher zu werfen oder Tallas Eltern zu kondolieren. Sie hätten sowieso nicht gewusst, wer ich war.

Müdigkeit lag schwer auf meinen Schultern. Jene Sorte Müdigkeit, die nicht nach Schlaf sondern etwas Tieferem, Elementaren verlangt. Ich hatte die schwarze Jacke in die Ecke geworfen und sehnte mich nach Geistigem, um den schalen Nachgeschmack des Geistlichen weg zu spülen, als es klingelte. Ich bekam selten genug Besuch, um einen Zufall auszuschließen. Jemand war mir gefolgt, und würde es nicht dulden, ignoriert zu werden. Das verriet bereits die Art und Weise des Klingelns und ich ahnte, wer vor meiner Tür stand. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn vor wenigen Stunden erstmals gesehen, aber sein Blick hatte mich verfolgt. Und nichts von seiner Intensität verloren, Wahnsinn loderte mir entgegen, als ich die Tür öffnete. Dunkelblau, ein Hauch Wut und so wilde Verzweiflung, dass ich unwillkürlich zurücktrat, um ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Bevor ich das tun konnte, schob er seinen Fuß hinein und ich tastete nach dem Hockeyschläger, der an der Garderobe lehnte. Als er mir eine Faust entgegen streckte, glaubte ich einen kurzen, rationalen Moment lang, er würde mich schlagen, aber als ich begriff, traf es mich weitaus härter. Er streckte mir seinen Ring entgegen. Mattes Silber mit einer gemusterten Oberfläche. Ungewöhnlich, aber nicht ungewohnt. Schließlich hatte ich den Abdruck seines Zwillings tagelang auf der Stirn getragen.


Er betrachtet mein Wohnzimmer mit angespanntem Interesse, die Frage ins Gesicht tätowiert. Ich kann ihn beruhigen. Talla wohnte niemals hier, hierher flüchtete ich, als ich sie endgültig nicht mehr ertragen konnte und hier war ich geblieben, während sie sich im Sog der Welt verlor. Sein Name ist Nils. Talla hat so häufig von ihm gesprochen, aber erst in diesem Moment, in dem er vor mir sitzt, realisiere ich , dass er mehr ist, als eine fiktive Figur ihrer bizarren Erzählungen. Abgesehen von einer Flasche Wild Turkey habe ich nichts im Haus und wir geben uns beide damit zufrieden. Was folgte, war Tangentialgerede. Dinge, die nicht schmerzten, während wir einander einschätzten und abwogen. Letztlich war er es, der die Initiative ergriff. Mit bohrendem Blick und Stahl in der Stimme.

„Hast du sie gefickt?“


Teil 2

 

 

Mittwoch, 9. Januar 2013

Mentalisierung





Ich bin hier, weil ich zwischen einer Jugendstrafe und dem Scheiß wählen kann.“
Die anderen starren mich an. Opfer. Ich passe nicht in diese Runde. Die Zigarette wäre noch nicht nötig, aber das Verbotsschild ist zu verführerisch, um sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen.


Du hast immer die Wahl. Erkenne deine Mitschuld und nimm sie an, oder begib dich in die Opferrolle und bleib’ darin für den Rest deines Lebens.

„Visualisiere deine Seele als Tier oder Fabelwesen. Wie fühlt sie sich? Wo sitzt sie? Und dann zeichne, was dir einfällt.“
Kindergarten, aber ich brauche meine Fleißkärtchen. Schwarz und Rot sind begehrt, also experimentiere ich mit Meerestönen.
„Tiamat also. Schön. Fliegt sie?“
Lächelnd hängt Claudia, die Therapeutin, mein Bild zwischen die anderen. Nataschas Welpe liegt zusammen gekauert in einem Körbchen. Lenes Spatz hat gebrochene Flügel mit blutigen Spitzen.
„Nein. Sie greift an.“


Sieh hin. Nur die Schwachen senken den Blick.

Die Begegnung ist unerwartet und schrecklich. Seit zwei Jahren gehen der Körper und ich einander aus dem Weg, außer wenn ich ihn für seine Schwäche bestrafe. Jetzt stehen wir einander gegenüber. Nackt und anklagend streckt er mir messerscharf gezeichnete Knochen und Sehnen entgegen. Der Spiegel splittert nach dem zweiten Schlag und dankbar nimmt die Haut die Scherben an.

Auf dem Boden hat Claudia Gegenstände ausgebreitet. Jeder soll sich etwas aussuchen und beschreiben, was er damit tun will. Natascha schneidet mit der Schere in die Luft.
„Ich mache die Welt ein Stück besser.“
Stille. Dann kichert jemand, eine zweite fällt ein, bis wir uns laut lachend die Tränen aus den Augen wischen.

 
Du lachst? Wie kannst du es wagen?

Etappensieg. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für den kosmetischen Eingriff. Claudia schenkt mir zur Feier des Tages eine teure Creme. Ratlos sitzen der Körper und ich einander gegenüber, wir haben den normalen Umgang verlernt. Aber das Zeug riecht gut, zitronig und sauber, und es fühlt sich angenehm an auf der Haut. Fast schön. Und fast könnte ich mich selbst in diesem Moment schön fühlen und die Augen schließen. Entspannen. Nicht nachdenken und dem Körper soweit vertrauen, um ihm die Kontrolle zu überlassen. Sanft und schnell bewegen sich meine Finger und ich bin kurz davor, fallen zu können, als sich die altbekannten Gesichter geifernd und grinsend dazwischen drängen.

„Das sieht ja böse aus.“ Die Krankenschwester, die mich auf die Operation vorbereitet, betrachtet meine Brüste. „Wie ist das denn passiert?“ Vielleicht ist es die Unsicherheit, einem fremden Menschen nackt gegenüber zu stehen, die mich dazu bringt, die Wahrheit zu sagen. Vielleicht ist es auch ihr sachlicher Tonfall, frei von falscher Anteilnahme oder aufrichtiger Sensationsgeilheit.
„Man hat Zigaretten auf mir ausgedrückt.“
Sie hebt nicht einmal die Augenbrauen, sondern nickt, um dann mit ihren Erklärungen fort zu fahren. Die erhabenen Wuchernarben werden abgetragen. Wenn ich Glück habe, wird man sie später kaum mehr sehen oder spüren können. Ich wünsche, ich könnte meine Seele mit operieren lassen.


Zerrissen, zerstört, disqualifiziert. Frannie loses a fight. Sprich von Tieren, von den Wölfen, den Monstern.

Metaphern gibt es nicht, nur Euphemismen, also lasse ich sie weg. Es gibt nichts zu beschönigen.
„Als ich fünfzehn war, hatte ich einen Streit mit meinem damaligen Freund. Er war drei Jahre älter und der Meinung, ich hätte auf einer Party mit jemandem geflirtet. Ich tat seine Vorwürfe lachend ab. Am folgenden Samstagabend lud er mich in die Wohnung seines Bruders ein. Dort warteten neben dem Bruder noch drei Freunde. Sie haben mich von Samstagabend bis Sonntagmittag in
der Wohnung eingesperrt und missbraucht.“
Die Geschichte ist für niemanden hier neu. Es gibt Nuancen der erfahrenen Grausamkeit, Variationen von Schmerz und Demütigung, aber die Erfahrungen gleichen sich und das Mitgefühl ist echt.


„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße.“
Im Dunkeln lehnt er den Kopf an meine Schulter. Heiß und neu pocht die Tätowierung unter der Frischhaltefolie.
„Es langt nicht, oder?“
Seine Arme liegen stark und falsch um meinen Körper. Mit einer Bewegung könnte er mich zerbrechen und der Gedanke beunruhigt mich nicht. Aber er hat Recht.
„Ja. Es langt nicht.“
Wir verharren in dieser Position, bis es hell wird. Die letzte Nacht. Mein 18. Geburtstag.


Steh auf und wisch’ dir den Rotz aus dem Gesicht!

Der Club ist überfüllt und die Luft heiß und verraucht. Der Geruchssinn schlägt Alarm, Patchouli, zäh und klebrig, und dann steht er vor mir. Das hier ist meine Stadt und trotzdem behält er die Fassung, während meine Beherrschung in die Knie geht. Seine blauen Augen sind nicht so böse und sein Grinsen nicht so wölfisch, wie ich es mir eingeredet habe, aber beim Klang seiner Stimme geben meine Beine nach. Ich kippe nach hinten, meine Muskeln wollen verspätet und panisch zuckend dem Fluchtinstinkt folgen und ich schütte mir mein Getränk über. Vodka mit Kirschsaft klebt auf meinem T-Shirt und er beugt sich zu mir, während die ignoranten Wichser an uns vorbei gehen, als wäre nichts.
„Siehst gut aus, Kleines. Wenn du nicht so besoffen wärst, würd’ ich dich mit nehmen.“
Grinsend dreht er sich weg und geht. Ich habe mich gerade noch so weit unter Kontrolle, um den Kopf zur Seite zu drehen und an meinen Knien vorbei auf den Boden zu kotzen.


Als ich die kleine Kneipe betrete, empfängt mich Applaus. Mit Claudia und ein paar der Mädchen habe ich noch losen Kontakt, aber zum jährlichen Stammtisch schafft es jede. Offenbar hat sich die Verurteilung herum gesprochen. Mein rasender Zorn über das geringe Strafmaß, die Angst wegen der anonymen Anrufe und Drohungen, alles löst sich auf, als Lene mir einen Trinkspruch ausspricht. Zum ersten Mal gewinne ich und lasse mich feiern.

Du wirst uns nicht so einfach vergessen!

Handypiepsen. Dann ein Rütteln an der Schulter und eine vage bekannte Stimme.
„Steh’ auf! Du musst verschwinden.“
Während ich langsam zu mir komme, springt er im Schlafzimmer herum und sammelt die leeren Kondomverpackungen auf.
„Mach schon. Meine Freundin kommt früher nach Hause.“
Müde steige ich aus dem Bett. Als ich meine Kleider zusammen suche, begegnet mir mein Blick an der Spiegeltür seines Kleiderschranks. Im Hintergrund wird der Gespiele immer hektischer.
„Was grinst du denn? Bist du dumm oder so? Beeil’ dich, verdammt!“
Nein, ich bin nicht dumm. Auf dem Heimweg wirbeln die Gedanken durch meinen Kopf.
So ein dämlicher Sportficker sucht auf dem Weg Zum Reihenhaus nochmal einen kleinen Abstecher ins Verruchte und du leistest Hilfestellung. Musste das? Billig war es, triebhaft, geil. Ich betrachte mich in einer Schaufensterscheibe. Müde, verkatert und schön. Ja, das musste.


Tätowiernadeln sirren angenehmer als Zahnarztbohrer. Drei Stunden dauert es, bis Ayse fertig ist. Dann bewundern wir gemeinsam ihr Werk.
„Sieht gefährlich aus.“
Ich grinse.
„Ist sie aber nicht. Sie fliegt nur.“




Seine Jacke hängt noch immer an der Garderobe. Es wird Zeit, sie zu den restlichen Sachen zu packen und sie ihm zu schicken. Draußen hält der Herbst Einzug und als ich die Kneipe betrete glüht mein Gesicht. Wir sehen uns nur noch zum Stammtisch. Das Leben hat uns im Griff und die Zeit ist zu knapp für mehr als sporadische Verabredungen und losen Kontakt. Vielleicht ist es jetzt, elf Jahre nach unserer ersten gemeinsamen Sitzung, auch Zeit, die Dinge ruhen zu lassen. Trotz allem freue ich mich auf das Wiedersehen, aber das gewohnte Stimmengewirr aus dem Nebenraum bleibt aus. Die Gesichter wirken alt und müde. Die Nachricht von Lenes Selbstmord ist ein Schlag in den Magen.
Wir gehen niemals ganz.

Montag, 7. Januar 2013

Nachspiel



Mir gegenüber sitzt er, das Gesicht in die Hände gestützt. „Wie traurig er aussieht.“ Die Sehnsucht, Schutzheilige der Träumer und Wichser. Sie hat sich schlafend gestellt und greift jetzt aus dem Hinterhalt an. Ihr erster Schlag trifft sofort und automatisch zuckt meine Hand in seine Richtung. „Verpiss' dich, Fotze.“ Aber sie lächelt nur und holt den Sommer zurück.
Wie schön er ist“, flüsterte sie und deutete in seine Richtung. Schönheit ist Hingabe und er gab sich hin. Nacht, Melodie und Bier. Asketen sind mir suspekt, Verzicht bedeutet Stagnation und kann niemals zur Läuterung führen. Es sind die gelebten Leidenschaften, die uns voran treiben. Und natürlich sie, die mich mit einem heiseren Lachen zu ihm hin zog.
Die Hand ist wieder unter meiner Kontrolle und dreht ihm eine Zigarette. Bleiern liegt das Schweigen zwischen uns. Auf meiner Schulter beschwert sich die Sehnsucht über die Langeweile der letzten zwei Wochen, aber das beeindruckt mich wenig. Fast gar nicht.
Wie der Hirsebrei aus dem Märchen quoll die Lust über die Ränder unserer Nächte und zwängte sich in die Zeitritzen. Er hinterließ Lücken, die ich schnell und fast schmerzlos wieder füllen konnte.
Lüg' nicht. Denk' doch mal an die Wochenenden.“ Die Sehnsucht gibt mir eine Kopfnuss und ich muss mich konzentrieren, weil er sich gefasst hat und nun beide gleichzeitig auf mich einreden.
Die Samstage waren Energie. Wie Absinth fluteten wir die Nächte. Jeder Song ein neuer Rhythmus, zu dem sich unsere Körper ebenso vertraut bewegten, wie zu dem anderen, der uns oft so heftig überfiel, dass wir es nicht nach Hause schafften. In dunklen Ecken ging ich vor ihm auf die Knie, schürfte ich meinen Rücken an rauen Hauswänden auf, grub meine Zähne, halb wahnsinnig vor Begierde, in seine Schulter.
Die Sonntage waren ruhiger. Irgendwo zwischen Lesen, Essen und Spaziergängen schlich sich eine bezaubernde Routine ein. Die Lust war nicht mehr eruptionsartig, waberte vielmehr wie warmer Bodennebel durch den Raum und verleitete uns zu sanften Midtempo-Nummern.
Schnauze!“ Beide verstummen irritiert und starren mich an. Sie haben mich in die Enge getrieben und ich fahre die Krallen aus. Ich bin gut ausgerüstet. Vertrauensmissbrauch, sein Spionieren, die erbärmliche Eifersucht und das Besitzdenken sind Argumente, die mir wieder Auftrieb geben. Aber nicht zu lange. „Was ist mit den Nächten?“, haucht die Sehnsucht, während sein trauriger Blick mich ins Herz trifft. „Wer beschützt dich vor der Dunkelheit?“
Weichheit ist ein Gefühl, an das man sich gewöhnen muss. Und doch war es schön, wenn er am Ende der Albträume auf mich wartete.
Die Stille ist gefährlich. Ich tausche einen Blick mit der Sehnsucht und sie senkt ihren zuerst.
Die Momente, in denen der Beschützer zum Jäger wurde, getrieben vom Wunsch nach Sicherheit, der Gier zu wissen und damit zu besitzen. Die gezogenen Grenzen ignorierte er, zwang mich in die Knie und pflügte rücksichtslos durch meine Seele, während Hobbes Geist kichernd durch den Raum schwirrte.
Um der Zukunft willen jagst du die Vergangenheit und vergisst mich im Jetzt.“ Ich schleudere es ihm heftiger als gewollt entgegen. Er zuckt zusammen, aber er muss es gewusst haben. Resignation. Langes Schweigen.
Lass uns das sauber zu Ende bringen.“ Unsere Umarmung fällt länger aus, als erwartet. Die Sehnsucht umklammert mein Bein so fest, dass ich sie gewaltsam abschütteln muss und sie fällt in die Ecke, wo sie reglos liegen bleibt.
Später ignoriert sie mich und ärgert die Katze mit Mäuseträumen. „Zu zweit ist es doch auch schön. Wenn du unbedingt willst, besorge ich uns sogar einen Fernsehanschluß.“ Wütend schüttelt sie meine streichelnde Hand von ihrer Schulter. Nichts.
Es klappt nicht. Haut und Haut finden nicht zueinander, halbherzige Fluchtversuche, die scheitern. Die Sehnsucht sitzt auf der Fensterbank und starrt in die Nacht. „Bist du immer noch wütend?“ Es dauert eine Zeit lang, bis sie sich zu mir umdreht und den Kopf schüttelt. Nachlässig wischt sie sich die Tränen von den Wangen. „Dann komm.“ Ich hebe die Bettdecke an. „Ohne dich macht es keinen Spaß. Mal mir ein paar Bilder.“ Die Sehnsucht springt von der Fensterbank und heiser kichernd schlüpft sie, die Schutzheilige der Träumer und Wichser, zu mir unter die Decke. Doch. Wir können auch allein ganz gut leben.